Unternehmertreffen mit Bischof Genn zur Fachkräfteoffensive NRW

, Bistum Münster

In immer mehr Branchen in Deutschland gibt es zu wenig Fachkräfte. Um das Land Nordrhein-Westfalen zukunftsfähig zu machen, hat die Landesregierung eine Fachkräfteoffensive gestartet. Darüber informierte Havva Avci-Plüm vom NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales beim Unternehmertreffen am 4. September in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster. Knapp 100 Unternehmerinnen und Unternehmer waren der Einladung von Münsters Bischof Dr. Felix Genn gefolgt, um sich über den Status Quo auszutauschen und notwendige Maßnahmen in den Blick zu nehmen.

Münsters Bischof Dr. Felix Genn

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„Auch wir als Kirche machen die Erfahrung, dass es immer schwieriger wird, geeignete Mitarbeitende für unsere Dienste und Einrichtungen zu finden“, berichtete Bischof Genn. Schon Papst Johannes II. habe in seiner Enzyklika „Laborem exercens“ aus dem Jahr 1981 betont: „Alle werden gebraucht.“ Arbeit dürfe nicht nur als Broterwerb verstanden werden, sondern sei im besten Fall sinnstiftend, sagte der Bischof. „Wer gebraucht wird, kann durch seine Arbeit einen Beitrag zur Entfaltung von Talenten leisten.“

Havva Avci-Plüm gab anschließend in ihrem Vortrag einen Einblick in die Inhalte der Fachkräfteoffensive NRW, mit der mit neuen, verbesserten Angeboten und Kooperationen dem akuten Fachkräftemangel begegnet werden soll. „Wir sprechen nicht von Modetrends, sondern die Themen Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie werden in den kommenden Jahrzehnten unsere Gesellschaft und unser Berufsleben entscheidend prägen“, verdeutlichte die Leiterin der Stabsstelle Fachkräfteoffensive diese Aussage mit Zahlen: 2021 fehlten 54.000 qualifizierte Arbeitskräfte, 26 Berufe sind von einem Fachkräfteengpass betroffen. „Es kommt auf uns als Gesellschaft an, diese Situation gemeinsam zu meistern“, appellierte sie an die Unternehmer. 

Havva Avci-Plüm stellte die Fachkräfteoffensive NRW vor.

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Die Fachkräftesicherung sei kein Sprint, sondern ein Marathon, der Geduld, Ausdauer und Zusammenhalt erfordere. Havva Avci-Plüm benannte das Ziel der Landesregierung: „Jeder Mensch, der sich mit seiner Kompetenz auf dem Arbeitsmarkt einbringen möchte, soll diese Möglichkeit erhalten.“ Wichtig dabei sei, potenzielle Ängste ernst zu nehmen und eine mögliche Spaltung zu verhindern. „Wir möchten die Unternehmen und Beschäftigen früh in den Prozess einbeziehen, denn durch gegenseitiges Zuhören, Lernen und Einfühlen in die Situation der Betroffenen, können wir Vertrauen und Akzeptanz schaffen. Davon hängt nicht nur die Stärkung des Wirtschaftsstandortes NRWs ab, sondern auch die Demokratiefähigkeit.“

So solle die berufliche Ausbildung attraktiver gemacht werden – „nicht zu Lasten der akademischen, wir brauchen beides“, betonte Havva Avci-Plüm. Das geschehe unter anderem mit Angeboten wie der Berufseinstiegsbegleitung und dem Werkstattjahr. Auch die berufliche Weiterbildung werde verstärkt in den Blick genommen, beispielsweise mit der neuen „Meister-Prämie im Handwerk“. Um die Potenziale auf dem Arbeitsmarkt umfassend zu nutzen, müsse sich dieser weiter für Frauen öffnen, führte Havva Avci-Plüm weiter aus. „Wir können es uns nicht leisten, dauerhaft auf Frauen als Fachkräfte zu verzichten“, erklärte sie und nannte Zahlen: Zwar konnte der Anteil von 2017 bis 2022 um neun Prozent gesteigert werden, doch noch immer arbeite die Hälfte aller beschäftigten Frauen in NRW in Teilzeit, bei den Männern seien es nur 12,6 Prozent. Die Sozialwissenschaftlerin sprach sich für eine Überarbeitung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Ganzen aus: „Nur so können wir das Erwerbspotenzial von Frauen ausschöpfen und gleichzeitig die Familien unterstützen.“ 

Mit Hochtouren werde daran gearbeitet, die Anerkennung der beruflichen Qualifikationen von zugewanderten Menschen zu beschleunigen. Auch die faire Anwerbung von Menschen aus dem Ausland werde immer wichtiger, betonte die Referentin. „Aber die Menschen, die hier arbeiten wollen, brauchen nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern eine neue Heimat. Wir brauchen eine gelebte Willkommenskultur in NRW.“ 

Über den Fachkräftemangel und die damit verbundenen Herausforderungen tauschten sich (von links) Hans Hund, Havva Avci-Plüm und Melanie Baum, moderiert von Klemens Kindermann, aus.

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Darin waren sich auch die Gäste auf dem Podium bei der anschließenden Diskussion, moderiert von Klemens Kindermann vom Deutschlandfunk, einig. Melanie Baum, Geschäftsführerin von „Baum Zerspannungstechnik“ und Vizepräsidentin der IHK Nord Westfalen, schaute auf „die kleinen Dinge“: „Den Arbeitnehmer als Mensch, als vollwertiges Mitglied des Unternehmens in den Blick zu nehmen, kann schon den Unterschied machen“, sagte sie und nannte Beispiele: „Die Namen der Mitarbeitenden kennen, sich Zeit nehmen und gelegentlich auch nach der privaten Situation fragen – das können wir alle tun, gleich morgen früh“, wandte sie sich an die Unternehmer. 

„Wir brauchen ein besseres Image“, plädierte Hans Hund, Präsident der Handwerkskammer in Münster, für das Handwerk. Noch nie seien jungen Menschen vom Übergang der Schule in den Beruf so stark finanziell und personell unterstützt worden, sagte Hund, „noch nie waren wir so erfolglos“. Der Präsident äußerte einen konkreten Wunsch: „Die Schulen brauchen mehr Werkstätten, in denen junge Menschen sich handwerklich ausprobieren können.“ Nach der Arbeit etwas Fertiges in den Händen halten zu können, erfülle besonders Jugendliche mit Stolz. „Hier gibt es ein großes Potenzial für junge Menschen.“

Ann-Christin Ladermann