Vorfreude auf starke Glaubenserfahrungen
Weihbischof Dr. Christoph Hegge, Mitglied der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz, über die Bedeutung des Weltjugendtags, einen begeisternden Papst und eine Kirche, die nah dran am Leben der Menschen ist.
Herr Weihbischof, der Weltjugendtag in Rio de Janeiro steht kurz bevor. Sie werden dabei sein. Steigt so langsam die Vorfreude?
Ich freue mich sehr auf den Weltjugendtag. Denn wir werden in Rio eine junge Kirche aus allen Ländern der Welt erleben, halb Südamerika wird ja wohl da sein. Es wird eine große Welle der Begeisterung geben. Und für unsere Jugendlichen können sich neue Horizonte eröffnen, wenn sie mit jungen Leuten gerade aus armen Ländern Lateinamerikas zusammentreffen, die mit ihrer Lebensfreude und Lebendigkeit den Weltjugendtag sicher prägen werden. Ich wünsche mir, dass der Weltjugendtag für unsere Jugendlichen ein Erlebnis der Gemeinschaft und der Begegnung wird. Wir werden hoffentlich erfahren, dass wir als Gruppe aufeinander angewiesen sind, und erleben, dass wir einander mittragen, in schönen wie vielleicht auch in herausfordernden Momenten. Wir sollten einfach nach Rio fahren, um unseren Glauben zu feiern und mit einem offenen Herzen für alles das, was kommen wird und was Gott uns zeigen möchte.
Ist Rio Ihr erster Weltjugendtag?
Nein. Ich war schon einmal bei einem Weltjugendtag, und zwar 1991 in Tschenstochau in Polen. Das war zunächst einmal eine echte Herausforderung, denn als wir ankamen, hat es ununterbrochen geregnet. Wir waren in Zelten untergebracht, alles war klamm, und es war wirklich kein gutes Gefühl. In dieser Situation haben wir eine Gruppe aus Rumänien kennen gelernt, die gar nichts hatte, weder etwas zu essen noch Geld, sie standen im ganz wörtlichen Sinn im Regen. Wir haben dann unsere Zelte und unser Essen mit ihnen geteilt. Über die Sprachgrenze hinweg haben wir uns als Brüder und Schwestern gefühlt. Das hat uns alle zutiefst bewegt und war die stärkste Katechese, die wir bekommen haben. Und dann kam plötzlich die Sonne heraus, als wir uns zur Heiligen Messe mit dem Papst versammelten. Die Begegnung mit Papst Johannes Paul II. war sehr beeindruckend. Seine Herzlichkeit und die Kraft, die in seinen Worten lag, haben uns tief berührt.
Vor Weltjugendtagen, aber auch vor anderen Großereignissen, gibt es immer die Diskussion, ob Kirche solche Events braucht. Aus Ihrer Sicht: Worin liegt die Bedeutung kirchlicher Großereignisse?
Viele Menschen machen sich auf den Weg zu solchen Ereignissen, weil sie Orte suchen, wo sie gemeinsam starke Erfahrungen im Glauben machen können. Gerade die Weltjugendtage bieten die Chance, eine Kirche zu erleben, die im wahrsten Sine des Wortes "katholisch" – also weltumspannend – ist und aus vielen Völkern und Nationen besteht. Wir machen Erfahrungen, die uns erahnen lassen: Der Heilige Geist handelt in ganz vielfältiger Weise, in vielen Nationen, unter vielen Bedingungen und in vielen Völkern und Sprachen. Im Grunde haben solche Ereignisse etwas vom Pfingstwunder.
Und dann laden kirchliche Großveranstaltungen, auf internationaler und nationaler Ebene, immer auch die der Kirche Fernstehenden ein: "Setze dich doch einmal mit dem Glauben auseinander!" – Da die Atmosphäre solcher Großveranstaltungen von großer Herzlichkeit und Gastfreundschaft geprägt ist, gelingt es häufig, dass Menschen sich öffnen für Gott, für ihren Glauben, für die Fragen nach dem Sinn des Lebens.
Nun stellen Kritiker solcher Großereignisse die Nachhaltigkeit in Frage. Haben solche Großereignisse eine Wirkung über den konkreten Moment hinaus?
Zunächst denke ich, dass unsere Erwartungen nicht zu hoch gestellt sein sollten und dass wir uns da auch selbst entlasten können. Denn es gibt die Zusage Jesu, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist, wo Menschen ihm nachfolgen und Zeugnis geben. Und das geschieht vielfach bei kirchlichen Großveranstaltungen. Von daher haben sie einen Wert an sich, und die Frage nach den Konsequenzen ist nicht die entscheidende. Wir dürfen sagen: Wo wir ein authentisches Zeugnis der Nachfolge Christi in Wort und Tat geben, da wächst das Reich Gottes, da ist es bereits angebrochen. Und das wird Früchte tragen, wo wir es vielleicht nicht vermuten.
Auf der anderen Seite haben die Kritiker insofern Recht, weil es uns etwa nach Weltjugendtagen oft nicht gelingt, auf wirklich gute Weise Jugendliche, die plötzlich einen inneren Aufbruch und eine innere Umkehr erleben, weiter auf ihrem Weg zu begleiten. Da fehlt es manchmal an Phantasie oder guten Ideen, aber auch an Ausdauer und Entschiedenheit, junge Menschen kontinuierlich im Glauben zu begleiten. Heute ist mehr und mehr erforderlich, einfach Zeit zu haben, um mit Jugendlichen über ihr Leben und ihren Glauben zu sprechen, ihnen Raum und Gelegenheit zu eröffnen, ihr Leben und ihre Glaubenssuche im Licht des Evangeliums Christi zu deuten und in ansprechenden Liturgien zu feiern.
Ist gerade diese persönliche Begleitung ein entscheidender Weg, um jungen Leuten auch im Alltag deutlich zu machen, dass der Glaube ihr Leben bereichern kann?
Ja. Ich denke, dass das persönliche Gespräch ganz wichtig ist. Ich merke das etwa bei Studierenden in Münster. Wenn die jungen Leute mich ansprechen und das Gespräch suchen, dann kann es nur eine Antwort geben: "Natürlich habe ich Zeit für dich", auch wenn mein Kalender bereits voll ist.
Darüber hinaus halte ich es für unverzichtbar, dass es Gruppen von Menschen gibt, also Gruppen von Menschen, die sich wechselseitig begleiten und ihre Glaubens-Erfahrungen miteinander teilen und im Licht des Evangeliums Christi deuten. Ein Beispiel: Ein junger Priester, der dieses Jahr in Münster geweiht wurde, hat auf dem letzten Katholikentag in Mannheim in einer großen Veranstaltung erzählt, dass seine Mitstudenten ihm geholfen haben, zu verstehen, dass er zum Priestertum berufen ist und dieser Spur zu folgen. "Das hat mir so sehr zu denken gegeben und soviel in mir ausgelöst" – berichtete der junge Mann – "dass ich meine Berufung im Glauben tiefer erkannt habe und dann wirklich Priester geworden bin. Alleine hätte ich sicherlich diese Gewissheit so nicht gefunden".
Und natürlich sollten wir zuallererst auf Gott selbst und sein Wirken im Heiligen Geist vertrauen. Es hängt nicht alles an uns, sondern Gott selbst handelt an uns, wenn wir uns ihm öffnen. Indem wir im Gebet der liebenden Nähe Gottes inne werden, die Sakramente feiern, das Evangelium lesen, betrachten und es zu leben beginnen, wird Gott uns durch seinen Geist führen und in uns den Glauben wachsen lassen.
Sie betonen die Notwendigkeit, das Evangelium konkret zu leben. Jugendliche beklagen aber häufig gerade, dass Kirche mit dem, was sie sagt und lebt, an der Lebenswirklichkeit junger Leute vorbeigeht. Was kann und sollte Kirche hier tun?
Das, was viele Jugendliche heute beklagen, ist ja nicht ganz falsch. Und junge Menschen stimmen mit den Füßen ab: Wenn wir sie und ihre Lebenswelt nicht erreichen, kommen sie nicht mehr. Ein Problem sehe ich etwa darin, wie wir Katechese betreiben: Hier müssen wir, denke ich, viel stärker die Erfahrungen der Jugendlichen aufgreifen. Wir brauchen daher katechetische Konzepte, die auf Erfahrung und Erleben aufbauen und die Nähe und Vertrauen schenken, durch die Jugendliche eine Vorstellung des Gottvertrauens und der Liebe Gottes erlangen können. Wir sollten Räume schaffen, wo Jugendliche sich verstanden fühlen, weil sie spüren: ‚Da sind Menschen, die mich so nehmen wie ich bin, und da kann ich mich frei fühlen.’
Das ist auch ein Anspruch, den wir nicht nur an die hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger stellen sollten, sondern hier ist mehr denn je die Vielfalt der Charismen in den Gemeinden gefragt. Die engagierten Christen in den Pfarreien, Gemeinden und Gemeinschaften sollten ihren Dienst nicht vor allem als Aufgabe verstehen, etwas zu organisieren, sondern zunächst einmal auch – und das sage ich ganz bewusst – als geistliche Sendung. Denn wir sind ja vor allem anderen Getaufte, also Söhne und Töchter Gottes. Und wir sollten unsere vielfältigen Aufgaben und Dienste von innen her, vom Herzen her, füllen, mit dem, an das wir zutiefst glauben: an die Nähe Gottes, an die Gewissheit, dass er uns liebevoll begleitet. Wenn das unser Miteinander prägt, dann werden wir mehr und mehr eine einladende Kirche, in der erfahrbar ist, was bereits von den ersten christlichen Gemeinden in der Apostelgeschichte berichtet wird: "Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele" – "Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt" (Apg 4,32; 2,47). Und das ist etwas, das unabhängig von Zeit und ihren Trends junge Menschen anspricht.
Nun findet der diesjährige Weltjugendtag in Lateinamerika statt. Dort begegnen wir einer jungen, sehr lebendigen Kirche. Was kann die deutsche Kirche von Lateinamerika lernen?
Wenn ich das richtig einschätze, ist die Kirche in Lateinamerika tief mit dem Alltag der Menschen verbunden. Dieser ist oft von Armut und sozialen Problemen geprägt. Ich habe bereits Mexiko und Peru besuchen können und erlebt, dass Glaube und Kirche vielen Menschen in ihren existentiellen Nöten beistehen, ihnen Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft schenken und sie bewegen, dafür einzustehen. Bei uns sehe ich dagegen die Gefahr, dass wir die Glaubenweitergabe und das konkrete Lebenszeugnis zu abstrakten intellektuellen Glaubensüberzeugungen degenerieren, über die wir dann diskutieren, und darüber das Lebenszeugnis, den konkreten Dienst am Nächsten aus dem Blick verlieren. Anders gesagt: Sind wir wirklich interessiert am Leben des anderen? Frage ich ihn: Welche Lasten trägst du im Alltag? Kommst du damit zurecht? Brauchst du Hilfe? Bist du vielleicht einsam? Das bedeutet: Sich für den anderen interessieren, ihm und seinen Freuden und Sorgen Raum geben in mir, weil ich Leben und Glauben teilen und Zeuge der Nähe Jesu Christi sein möchte: Das erlebe ich in den lateinamerikanischen Kirchen.
Und ich habe dort erfahren, dass das Wort gilt: "Keiner ist so arm, dass er nicht doch irgendetwas hätte, das er mit einem anderen teilen kann." Wie man dort aufgenommen und beherbergt wird, wie arme Menschen das Wenige, das sie haben, oft mit anderen teilen, das ist beeindruckend. In unserer Kirche herrscht dagegen vielleicht noch zu sehr eine Atmosphäre des Habens und des Besitzstandes. Wir sind auf einem sehr hohen Niveau gewohnt, unseren Besitzstand zu wahren und zu sichern. Das sollten wir überdenken.
Sie haben die Bedeutung der sozialen Frage für Lateinamerika angesprochen. Inwieweit wird diese Frage den Weltjugendtag in Rio besonders prägen?
Wie drängend die Frage in Brasilien ist, bekommen wir gerade über die Nachrichten mit. Wer in die Länder Lateinamerikas reist, sieht sich dieser Lebenswirklichkeit gegenüber gestellt. Auf dem Weltjugendtag wird diese Frage auf persönliche Weise die Pilger schon deshalb prägen, weil es in Rio die großen Favelas, die Armenviertel, gibt. Hier leben unzählige Menschen, die keine Arbeit haben, Jugendliche, die kaum eine Perspektive für ihr Leben sehen. Wir werden diesen Jugendlichen begegnen, Menschen, die am Straßenrand sitzen, Menschen, die betteln, Menschen, die erkennbar nichts haben. Und wir werden dann auch aufgefordert sein, mit diesen Menschen zu teilen.
Wir werden sicher auch Weltjugendtagspilger erleben, die nicht komfortabel untergebracht sind, die vielleicht nach tagelangen beschwerlichen Reisen in Rio ankommen und nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben. Dazu müssen wir uns verhalten, auf diese Menschen müssen wir offen zugehen. Denn sie kommen zwar vielleicht mit leeren Händen, aber sicher mit einem vollen Herzen, mit Freude und Begeisterung für Jesus Christus. Vielleicht werden uns gerade Begegnungen mit solchen Menschen am Ende bereichern und uns helfen, auch unseren von Konsum geprägten Lebensstil ein wenig in Frage zu stellen.
Gerade zu diesen Themen hat Papst Franziskus in den ersten Wochen seines Pontifikats schon Zeichen gesetzt. Nun kommt er als lateinamerikanischer Papst zum Weltjugendtag nach Rio. Welche Rolle wird der Papst beim Weltjugendtag spielen und welche Erwartungen haben Sie an ihn?
Zunächst finde ich es eine gute und auch selbstverständliche Entwicklung, dass über den neuen Papst die Kirche Lateinamerikas stärker ins Zentrum der Kirche rückt. Das tut uns allen gut. Wie schwer tun wir uns damit, einmal nicht Deutschland und Westeuropa als den Mittelpunkt von Welt und Kirche zu sehen. Weltweit betrachtet lebt heute aber bereits mehr als die Hälfte aller Katholiken in Mittel- und Südamerika. Das machen wir uns nicht genügend bewusst: Was darin für eine vitale Kraft steckt und welche geistlichen und sozialen Impulse das für die Kirche weltweit bedeuten kann. Mit Papst Franziskus bietet sich die große Chance, im Sinne einer interkulturellen Neuevangelisierung einen Neubeginn für unsere Kirche zu suchen, gerade auch in Westeuropa. Es geht um einen Neubeginn, bei dem nicht danach gefragt wird, was wir besitzen, sondern einfach nur danach, wie wir aus einer lebendigen Beziehung zu Jesus Christus leben, diese Lebendigkeit der Christusbeziehung untereinander teilen und einander im Glauben tragen. Die Selbstverständlichkeit dieses gemeinsamen Glaubenslebens haben viele Christen in Lateinamerika uns voraus, darauf bauen sie. Das können wir von ihnen lernen. Die Freude über die Beziehung zu Jesus Christus und zu unseren Schwestern und Brüdern neu zu entdecken, sie in den Mittelpunkt unseres gemeinsamen christlichen Lebens zu stellen und eine "Kultur des Gebens", eine "Kultur des Teilens" einzuüben, das scheint mir die wesentliche Bekehrung, die wir hier in Westeuropa brauchen. Ich bin mir sicher, dass Papst Franziskus das in seiner überzeugenden Art ansprechen wird.
Papst Franziskus wirkt echt und glaubwürdig. Er beeindruckt mit einfachen Gesten. Welches Signal geht hiervon für die Kirche in Deutschland aus?
Der Papst handelt aufgrund seiner eigenen Lebens- und Glaubenserfahrung. Natürlich können wir nun nicht alle beginnen, Papst Franziskus zu kopieren, sondern auch wir sollen wir selbst sein, aber eben als glaubwürdige Christen. Die Impulse und Gesten von Papst Franziskus tun der Kirche gut. Es sind vor allem Zeichen der Schlichtheit und der Einfachheit, gerade auch in der Feier der Gottesdienste. Der Papst nimmt sich selbst zurück; er verzichtet auf alles Überflüssige. Er betet meist auf Italienisch, damit die Menschen ihn verstehen. Er möchte den Menschen nahe sein und in allem, was er tut, letztlich auf Gott verweisen und deutlich machen, dass es auf ihn, auf Gott und seine barmherzige Nähe, ankommt.
Papst Franziskus macht anschaulich, dass Christus bei den Menschen sein wollte und bei den Menschen ist. Und so müssen auch wir uns zu den Menschen hin bewegen, finden wir Christus doch etwa in vielen unzähligen Heiligen des Alltags, die einfach ihr Leben verschenken, es hingeben auf vielfältige Weise: Dort ist er lebendig. Für diese Überzeugung steht für mich Papst Franziskus, dafür steht auch sein großer Namenspatron. Er will den Menschen nahe sein, sucht die unkomplizierte und familiäre Begegnung mit den Menschen und wird das ganz sicher auch beim Weltjugendtag zeigen und verkünden. In dieser Unkompliziertheit und selbstverständlichen Nähe das Leben der "neuen Familie Gottes", der "Freundesgemeinschaft Jesu" miteinander Leben und bezeugen: Das ist begeisternd!
Text: Bischöfliche Pressestelle
Kontakt: pressestelle[at]bistum-muenster.de