„Halt geben. Haltung leben. Was uns leitet und verbindet“ So ist der Wertekompass 2023 der Kinderpalliativstation der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln überschrieben. Mit dieser Kampagne möchte deren Team auch auf die aktuelle Diskussion und das laufende Gesetzgebungsverfahren zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe aufmerksam machen. Das aktuell vierte Motiv von zehn, die bis zum Ende des Jahres geschaltet werden, thematisiert die offene Team-Haltung zum Thema Spiritualität und zeigt Klinikseelsorgerin Sr. Verona Eichmanns.
Mit wieviel Herzblut und Engagement die Mitarbeitenden sich für ihre jungen Patientinnen und Patienten sowie deren Familien einsetzen, und wie sie ihre Werte mit Leben füllen, erfuhr Weihbischof Rolf Lohmann bei einem Besuch. „Ich sehe, wie wertvoll und wichtig die Arbeit ist, die hier von so vielen Menschen geleistet wird“, zeigt sich der für die Region Recklinghausen/Niederrhein zuständige Weihbischof beeindruckt. Seit zwölf Jahren engagiert sich ein multiprofessionelles Team in dem aus Spenden und durch Zuwendungen von Stiftungen finanzierten Kinderpalliativzentrum darum, dass es den Patienten und Patientinnen und ihren Familien besser geht. „Zu uns kommen Eltern mit ihren Kindern, die häufig an seltenen, chronischen Erkrankungen leiden. Sterben ist möglich, wird zugelassen und begleitet, doch in der Regel geht es darum, ihre verbliebene Lebenszeit zu verbessern. Jeder Augenblick zählt. Wir begleiten die Familien oft über viele Jahre“, berichtet Prof. Boris Zernikow. Er ist Gründer und Chefarzt des deutschlandweit ersten Kinderpalliativzentrums und setzt sich damit besonders für Kinder ein, deren Lebensspanne möglicherweise nicht lang ist. „Unser Ziel ist es, dass die Familien Luft holen können vom Alltag, wir das Leid lindern und mit ihnen daran arbeiten, das gemeinsame Leben mit ihren Kindern zu gestalten“, erklärt er dem Weihbischof bei einem Rundgang über die lichtdurchflutete Station. Die acht Zimmer, die im Halbrund nach Süden ausgerichtet sind und alle einen Zugang zum Garten haben, sind geräumig. Glaseinsätze in den Türen lassen das Licht auf den Flur fallen. „Wer Privatsphäre braucht, kann sie von innen verdunkeln. Doch meistens sind die Türen geöffnet“, erläutert Zernikow und fügt hinzu: „Teilhabe ist für unsere Patientinnen und Patienten das Wichtigste.“
Bei der Aufnahme auf die Station nimmt sich das multiprofessionelle Team jeweils viel Zeit, um Eltern und vor allem die kleinen Patientinnen und Patienten, die häufig einen weiten Weg in Kauf nehmen, kennenzulernen. So wie die achtjährige Fatima. Sie ist vor drei Tagen mit ihrer Mutter angekommen. In den ersten Lebensjahren habe sich ihr Kind normal entwickelt, doch dann habe es Fertigkeiten, die es längst hatte, wieder verlernt. „Seit sechs Wochen spricht sie nicht mehr. Aber wir kommunizieren über die Augen“, berichtet die Mutter dem Weihbischof. Dabei hält sie die ganze Zeit die Hand der Kleinen und streichelt ihr immer wieder über die Wange.
Auf der Kinderpalliativstation geht es nicht in erster Linie darum, Diagnosen zu erstellen. Solche Odysseen haben die Familien, die nach Datteln kommen, oft hinter sich. Hier geht es auf unterschiedlichen Wegen darum, das, was noch vorhanden ist, zu stärken. „Das Kennenlernen und Beobachten ist dabei ein ganz wichtiger Aspekt, um weiter miteinander arbeiten zu können“, erläutert Psychologin Christina Ehlert. Und die pflegerische Stationsleitung Sr. Nicole Eickhoff fügt hinzu: „Es geht uns darum, dass wir die Kinder, Jugendlichen und Familien umfassend als Menschen kennenlernen. Das braucht Zeit, ist aber immens wichtig für unsere ganzheitliche Versorgung.“ Diese Zeit ist es dann auch, was die Kinderpalliativstation so besonders macht. Im „Lebensraum“ am Ende des Flures ist gerade Tiertherapeutin Christiane mit ihrem Beagle Lenny und ihrem Golden Retriever Hugo zu Besuch. Sie legt einer jungen Patientin ein Leckerchen auf die Hand, das sich Lenny auf ihr Zeichen vorsichtig nimmt. Bei der Berührung lächelt die Patientin leicht. „Sie reagiert sehr positiv auf die Berührung. Wenn sie die Hunde streichelt, lacht sie“, berichtet die Hundeführerin von den Reaktionen auf die tierische Unterstützung. Aber auch weitere unterstützende Angebote wie Musik-, Kunst- und Ergotherapie sind möglich. Und das nicht nur für die kleinen Patientinnen und Patienten, sondern auch für die Eltern und Geschwisterkinder. „Viel ist durch das gemeinsame Tun gekennzeichnet. Die Geschwister erleben etwas positives. In unserem SisBroJekt geht es ausschließlich um die Geschwisterkinder, die im Alltag häufig aus nachvollziehbaren Gründen zurückstecken müssen. Diese Balance lässt das Schwere aushalten“, erklärt Oberarzt Dr. Georg Rellensmann.
Zu uns kommen Eltern mit ihren Kindern, die häufig an seltenen, chronischen Erkrankungen leiden. Sterben ist möglich, wird zugelassen und begleitet, doch in der Regel geht es darum, ihre verbliebene Lebenszeit zu verbessern. Jeder Augenblick zählt.
Prof. Dr. Boris Zernikow
Ziel des gesamten Teams ist es, einen Weg aufzuzeigen, „wie man Leben unter schwersten Bedingungen gestalten kann. Dazu gehört es auch, dass wir mit den Eltern arbeiten und sie es schaffen, irgendwann auch ihr Kind gehen zu lassen. Das ist unsere Aufgabe, bei der wir sie häufig über mehrere Jahre begleiten“, erläutert Zernikow. Das Team sähe dabei, wie die Familien mit ihren Aufgaben wachsen, aber auch „wie manche Familien an der Krankheit ihres Kindes zerbrechen“, sagt der Chefarzt. Die Trauerbegleitung beginne in dem Moment, wo es um Loslösungsprozesse gehe. Wenn die Familie nach dem Aufenthalt wieder zuhause sei, werde sie von dem spezialisierten ambulanten pädiatrischen Palliativteam (SAPV) weiter betreut. Bis zu 120 km rund um Datteln fährt das Team zu den Familien.
„Mir ist deutlich geworden, wie wichtig die positiven Erfahrungen für die Patientinnen und Patienten sowie die Familien sind. Sie gemeinsam zu erleben, ist eine wichtige Erfahrung. Als Kirche reicht es nicht aus, zu sagen, wir wollen das Leben schützen. Sondern es ist wichtig zu sehen, wie es sich gestaltet. Dies ist ein Ort, an dem mit viel Zuwendung von Menschen geholfen wird, die in ihren Aufgaben aufgehen. So kann es gelingen“, fasst Lohmann seine Eindrücke auch mit Blick auf die bevorstehende zweite Lesung zur Regulierung der Suizidassistenz im Deutschen Bundestag zusammen.