Wohnungslosigkeit in Münster

, Stadtdekanat Münster

Kaum bezahlbarer Wohnraum, niedrige Reallöhne: Wohnungslosigkeit ist in Münster angekommen. Die katholische Kirche im Stadtdekanat Münster nimmt sich des Themas an. Anne Hakenes, Mitglied im Vorstand, und Stadtdechant Ulrich Messing schildern im Gespräch mit der Bischöflichen Pressestelle konkrete Ideen.
 

Anne Hakenes und Stadtdechant Ulrich Messing im Spendenlager des Vereins „Ein Rucksack voll Hoffnung“: Die Initiative nutzt für ihr Spendenlager Kellerräume im Bischöflichen Priesterseminar Borromaeum am Domplatz in Münster.

© Bistum Münster

Man bringt viele Dinge mit Münster in Verbindung, Wohnungslosigkeit gehört für die meisten Menschen nicht dazu. Zu Unrecht?

Anne Hakenes: Das stimmt, das Thema kommt in der Wahrnehmung der Münsteranerinnen und Münsteraner wenig vor. Die Wirklichkeit ist aber eine andere. Als langjährige Vorsitzende des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) weiß ich, dass Einrichtungen für wohnungslose Frauen überlaufen sind und es an Unterbringungsmöglichkeiten fehlt. 

Ulrich Messing: Das Thema ist in Münster wenig sichtbar, die „Szene der Wohnungslosigkeit“ ist nicht mit der in Städten des Ruhrgebiets oder noch größeren Städten wie Berlin oder Paris vergleichbar. Ich kann aber sagen, dass Wohnungslosigkeit bei all meinen Antrittsbesuchen als Stadtdechant Thema war – ob mit Politikerinnen und Politikern, Vertretern der Stadt oder der Universität. Ich habe jedes Mal die Bitte und den Auftrag mitgenommen: Lasst uns das Thema gemeinsam angehen.

Wie hat sich die Situation in den vergangenen Jahren entwickelt?

Hakenes: Es ist schwieriger geworden, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Früher war es noch möglich, Frauen aus den Frauenwohnheimen zu vermitteln. Heute ist der Wohnraum vielfach nicht mehr bezahlbar. Hinzu kommt, dass Vermieter selten bereit sind, ehemals wohnungslose Menschen aufzunehmen, weil diese oft Probleme beispielsweise psychischer Art mitbringen. Die hohe Flüchtlingsrate kommt erschwerend hinzu. Immer öfter leben auch Menschen, die einer Arbeit nachgehen, in einer Unterkunft für Wohnungslose.

Messing: Die Stadt möchte verstärkt gemeinsam nach Lösungen suchen. Das begrüßen wir seitens des Stadtdekanates und auch der Caritas sehr. Wir versuchen schon länger, alternativen Wohnraum zu schaffen. Aktuell haben wir im alten Pfarrhaus in Coerde vier Auszubildende der Altenpflege aufgenommen, die eine Art Wohngemeinschaft bilden. 

Welche Faktoren können zur Wohnungslosigkeit führen? 

Hakenes: Krankheit, Trennung, Verlust des Jobs und als Folge dessen psychische Probleme, vielleicht ein Suchtproblem. Manchmal fängt es klein an und geht dann sehr schnell.

Messing: Wenn Menschen, die bislang gut situiert waren, sich aufgrund sich verändernder Lebenssituationen auf dem Wohnungsmarkt drängen und nicht fündig werden, wird deutlich, dass Wohnungslosigkeit die Mitte der Gesellschaft erreicht hat. 

Wie setzt sich die katholische Kirche im Stadtdekanat Münster gegen Wohnungslosigkeit ein?

Messing: Wir wollen erstens verstärkt in den Kirchengemeinden nachfragen, ob Menschen Wohnraum gegen Hilfe zu vergeben haben. Wohnungssuchende könnten Wohnungsinhaber in Haus und Garten unterstützen und dafür eine reduzierte Miete zahlen. Zweitens wollen wir prüfen, wo es kirchliche Räumlichkeiten gibt, die gegen kleinen Aufwand so gestaltet werden können, dass Wohnraum entsteht. Drittens möchten wir schauen, wie Kirchengemeinden vielleicht selbst Wohnraum anmieten und dann vergeben können. 
Das sind kleine Bausteine, die aber weiter sensibilisieren. ‚Not sehen und handeln‘ ist der Leitsatz der Caritas und wenn wir das umsetzen, übersetzen wir Kirche in die Realität von heute. Das ist eine Herausforderung, der wir uns stellen – gerne mittels Vernetzung mit anderen Playern wie der Stadt, Caritas, SKF, Bischof-Hermann-Stiftung etc. 

Haben Sie Sorge, dass die Stimmung gegen Geflüchtete weiter kippen könnte, wenn das Problem der Wohnungslosigkeit sich verschärft? 

Messing: Das gilt es unbedingt zu verhindern. Es geht nicht darum, ob jemand geflüchtet ist oder was sonst zur Situation geführt hat oder darum, Gruppen gegeneinander auszuspielen. Unsere Kirche ist eine Kirche für alle.

Was fordern Sie konkret von den Politikerinnen und Politiker in Münster bei diesem Thema?

Hakenes: Die Stadt muss sich weiterhin verstärkt um sozialen Wohnraum bemühen. Diese alte Forderung hat an Aktualität nicht verloren. Gleichzeitig erleben wir eine große Bereitschaft zur Zusammenarbeit: Und nur zusammen sind wir an dieser Stelle stark. 

Messing: Ich ermutige, Abstand zu nehmen von einem Schwarz-Weiß-Denken. Wohnungslosigkeit ist ein differenziertes Thema, das Menschen unerwartet betreffen kann. Die Kirche soll Sprachrohr für sie sein und zeigen, dass ihr alle Menschen wichtig sind. Gemeinsam mit Partnern in Münster können wir da etwas bewegen. 

Was kann jeder Einzelne tun?

Messing: Belegt das Thema nicht mit Stammtischparolen. Setzt euch mit der Thematik auseinander. 

Hakenes: Und überlegt, was es für einen selbst bedeuten würde, in eine solche Situation zu kommen. Viele Betroffene schämen sich, wohnungslos zu sein – wir müssen dem Problem zur Sichtbarkeit verhelfen.

Das Interview führte Ann-Christin Ladermann.