Bischof Genn feiert Gottesdienst zur Rückkehr des Borghorster Stiftskreuzes

, Bistum Münster, Kreisdekanat Steinfurt

Die meisten Gottesdienstbesucher hoffen, schon beim Eintreten in die Kirche einen kurzen Blick aufs Kreuz erhaschen zu können. Doch die gläserne Vitrine ist geheimnisvoll umhüllt. Erst als Münsters Bischof Dr. Felix Genn zum Gottesdienst in die renovierten und umgestalteten St.-Nikomedes-Pfarrkirche einzieht, erhebt sich das sandfarbene Satintuch langsam gen Orgelbühne. Zum Vorschein kommt das Borghorster Stiftskreuz, einer der bedeutendsten sakralen Kunstschätze Europas aus der Zeit des 11. Jahrhunderts.

Am helllichten Tag war das Kreuz Ende Oktober 2013 aus der Nikomedeskirche gestohlen worden. Obwohl die Täter, drei Männer aus Bremen, im Oktober 2015 vom Landgericht Münster zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, blieb das Kreuz verschwunden. Erst im Februar 2017 wurde es an einen vom Bistum Münster beauftragten Rechtsanwalt in Bremen übergeben – und nach Münster gebracht. Nach langer Wartezeit ist es nun endlich zurück in Borghorst. 

Das Stiftskreuz wird in der neuen Vitrine als Vortragekreuz präsentiert, also auf einen Stab gesetzt. Zum Einsatz bei Gottesdiensten wird es nicht mehr kommen: „Dafür ist es zu wertvoll“, erklärt Kunsthistoriker Martin Kaspar von der Kunstpflege des Bistums Münster. Das Kreuz ist in der Vitrine fest verankert und wird künftig nicht mehr so oft wie früher für Ausstellungen verliehen.

„Ich freue mich, dass dieses wunderbare, einzigartige und weithin bekannte Kreuz endlich an dem Ort ist, an dem es für viele Menschen noch mal eine besondere, eine identitätsstiftende Bedeutung hat. Ich wünsche allen, die das Stiftskreuz besuchen, einen Moment der Stille, aus dem sie Kraft schöpfen können“, sagte Bischof Genn, der zunächst das Wasser weihte, mit dem er dann das Stiftskreuz und die Gemeinde segnete. Während des Gottesdienstes weihte er zudem den Ambo – also das Lesepult – sowie den neuen Altar der Kirche. Dazu salbte er ihn mit einem Heiligen Öl und entzündete an den vier Ecken sowie in der Mitte des Altares Weihrauch.

In seiner Predigt ging der Bischof auf das Markusevangelium (Mk. 4, 35-41) ein, in dem berichtet wird, wie die Jünger auf dem See Genezareth mit ihrem Schiff in einen schweren Sturm geraten, während Jesus schläft. Als sie ihn voller Angst wecken, gebietet er Wind und Wellen schließlich, sich zu legen. Die Jünger fragten sich daraufhin, was Jesus für ein Mensch sei. Diese Frage, sagte Bischof Genn, könne ein „Einfallstor des Glaubens“ sein.  „Wir verehren, dass Gott Mensch geworden ist und so hineingestiegen ist in die Stürme von Tod und Verderben“, betonte er. Am Kreuz habe Jesus jeden Akt des Zornes, des Hasses und der Ungerechtigkeit, die ihm angetan wurden, in einen Akt der Liebe verwandelt. Genn: „Das Zeichen dafür ist das Kreuz. Das ist das Zeichen dafür, dass er sich einem viel größerem Sturm ausgesetzt hat als dem auf dem See Genezareth. Dem Sturm des Todes, dem Ansturm des Bösen.“ Dadurch hätten Christinnen und Christen bis in die heutige Zeit die Möglichkeit, eine neue Schöpfung zu sein, deren letztes Wort nicht die Angst und die Furcht sei. „Wir Christinnen und Christen können hineingehen in den Alltag und in alle die Stürme und Mächte des Todes, dies ich uns in unserer Gesellschaft zeigen.“

Das Wasser der Taufe wolle die Menschen von den Mächten des Todes in das Leben dessen führen, „der für uns gestorben und auferstanden ist“, erklärte Bischof Genn. Gott sei für die Menschen „Feuer und Flamme“ sagte er mit Bezug auf die Altarweihe. „Ich wünsche Ihnen“, wandte er sich an die Gemeinde, „dass sie aus dieser Feier herausgehen mit einem leidenschaftlichen Engagement für die Menschen.“

Thema Stiftskreuz

Das nur 40 Zentimeter hohe Borghorster Stiftskreuz gehört zu den bedeutendsten sakralen Kunstschätzen Europas aus der Zeit des 11. Jahrhunderts. Bis zum Diebstahl am 29. Oktober 2013 war das ottonisch-salische Kreuzreliquiar des ehemaligen Borghorster Kanonissenstiftes im Chorraum der Pfarrkirche in einer Glasvitrine ausgestellt.

Das Reliquienkreuz ist in dreierlei Hinsicht von besonderer Bedeutung: Es handelt sich um ein Kunstwerk, das in drei kostbaren Bergkristallobjekten 17 Reliquien – von Gläubigen verehrte Überreste von Heiligen – enthält. Kunsthistorisch ist das Kreuz eines der herausragenden Zeugnisse sakraler Kunst aus der Salierzeit und ein historisches Zeugnis des differenzierten Stiftungswesens des Mittelalters.

Das Kreuz hat einen Holzkern und ist auf der Vorderseite mit einem dünnen Goldblech, auf der hinteren Seite mit vergoldetem Kupferblech verkleidet. Rein materiell betrachtet ist das Kreuz nach Aussage von Historikern verhältnismäßig wertlos. Daran ändern auch die als Verzierung eingesetzten Schmucksteine nichts. Für die Frömmigkeitsgeschichte der Christen, besonders für die Pfarrei St. Nikomedes, hat das Borghorster Kreuz hingegen eine große Bedeutung.

Entstanden ist das Kreuz nach Einschätzung von Experten um 1050, so dass Kaiser Heinrich III. Kreuz und Reliquien gestiftet hat. Möglicherweise entstand das Kreuz als Sühnestiftung Heinrichs, der 1048 in einen Konflikt mit dem sächsischen Adelsgeschlecht der Billunger geraten war, die Borghorst gegründet hatten. Als Gegenleistung für wertvolle Gaben erhofften sich die Menschen damals ihr Seelenheil. Die Pracht des Kreuzes zeugt vom Willen der Stifter, ein außergewöhnliches Zeichen zu setzen.

Gudrun Niewöhner