Vor dem Hintergrund, dass noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Deutschen Bundestag über ein neues Gesetz zur Regulierung der Suizidassistenz abgestimmt werden soll, griff der Bischof dieses Thema in seiner Predigt auf. Es gehe dabei um die Frage, wie menschenwürdiges Sterben gestaltet werden kann, sagte er. Die Stimme der Kirche, bedauerte Genn, werde in dieser Diskussion oftmals nicht mehr gehört, weil gesellschaftliche Kräfte glauben, die Kirche sei immer gegen alles. Dem hielt der Bischof entgegen: „Wir sind für das Leben, wir sind nicht gegen alles, weil wir für das Leben sind, deshalb aber sind wir gegen den Tod. Weil wir für das Leben sind, deshalb glauben wir, dass es sich lohnt, Suizid-Prävention zu verstärken, die Hospiz-Bewegung zu unterstützen, alles, was an Palliativem in den Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen geleistet wird, mit mehr Geld zu unterstützen und zu fördern. Wir sind für das Leben, weil wir Menschen davor bewahren wollen, unter den Druck zu geraten, um den Angehörigen nicht zur Last zu fallen. Wir sind für das Leben, weil wir Menschen helfen wollen, nicht die Freiheit zu verlieren, sich dem Zwang ausgesetzt zu wissen, den Suizid als den leichteren Weg zu sehen, weil ihn andere in ihrer freiheitlichen Selbstbestimmung wählen. Wir sind für das Leben, weil wir bereit sind, die Spannung auszuhalten, diejenigen, die sich anders entscheiden zu respektieren und ihr Sterben in diesem Sinne als autonom anzusehen, und zugleich mit Stärke dafür einzutreten, andere Wege als lebensfördernder anzusehen.“
Genn ging auch auf weitere aktuelle gesellschaftliche und politische Herausforderungen ein. Er mahnte er zum Krieg in der Ukraine an, dieser dürfe nicht zum Alltag werden. Es sei weiter notwendig, für den Frieden zu kämpfen. Hinsichtlich der ökologischen Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft nahm der Bischof die Notwendigkeit in den Blick, kürzer zu treten, was nach vielen Jahren des Wohlstands sicher schmerzhaft sei. Auch das „Elend im Mittelmeer und in den Ländern des Südens“ höre nicht auf. In diesem Zusammenhang warnte der Bischof vor Politikern, „die kurze, einfache und knappe Antworten auf die komplexe Situation geben wollen und damit unseren gesellschaftlichen Frieden innerhalb unseres Landes in größte Gefahr bringen“. Und gerade als Bischof von Münster, so betonte er, liege es ihm zudem am Herzen darauf hinzuweisen, „sensibel zu werden gegenüber den vielen Problemen, die sich in der Landwirtschaft auftun und dem Umgang mit den Bauern, es hier nicht einfach auf einfache Antworten ankommen zu lassen, sondern differenziert zu urteilen und nicht direkt zur verurteilen und Menschen eines bestimmten Standes aus bestimmten Gründen in die Ecke zu drängen.“
Wie könnten angesichts der Vielfalt der Herausforderungen und Probleme Lösungen aussehen? Bischof Genn gab die folgende Antwort: „Wer sich auf Jesus einlässt, findet in ihm die Lösung der vielen Fragen und Probleme. Er erhält die Bereitschaft, wirklich umzudenken und von ihm die Vielfalt der Probleme zu sehen. Vielleicht besteht es nur darin, zunächst einmal die Komplexität anzunehmen, auf diese Komplexität zu hören und sie in das Gespräch mit der Botschaft Jesu zu bringen, um von ihm her sich eine Orientierung geben zu lassen. Zum Beispiel, wie es mit der Lösung der Migration weitergehen kann, wie es mit dem Frieden wirklich bestellt ist, und was es heißt, sich etwas kosten zu lassen, für seine Botschaft das Leben einzusetzen.“
„Wer sich Jesus anschließt, wird zu einem Menschen des Friedens“, schloss der Bischof seine Predigt und erinnerte an den 375. Jahrestag des Westfälischen Friedens, der in diesem Jahr in Münster und Osnabrück begangen wird.
Mit dem Bischof zelebrieren Dompropst Hans-Bernd Köppen, Stadtdechant Ulrich Messing und Pfarrer Alexandru Dragos als Leiter der rumänischen Gemeinde die Messe. Die musikalische Gestaltung im Gottesdienst und bei der Prozession übernahmen Sängerinnen und Sänger der Dommusik und das Blechbläserensemble „blechgewand(t)“.
Der Brauch der Großen Prozession reicht zurück bis ins Jahr 1382. Damals starben in Münster mehr als 8.000 Menschen an der Pest. Im Jahr darauf verwüstete ein Großbrand weite Stadtgebiete. Seitdem ziehen aufgrund eines damaligen Gelöbnisses jedes Jahr Gläubige mit dem Allerheiligsten zu einer überpfarrlichen Buß- und Bittprozession durch die Altstadt. Aufgrund dieses Ursprungs wird eine Nachbildung des historischen Pestkreuzes, dessen Original im Stephanschor des Doms hängt, der Prozession vorausgetragen.
Dr. Stephan Kronenburg