Ökumenische Friedensvesper setzt Zeichen gegen Antisemitismus

, Stadtdekanat Münster

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Diese Werte müssen wir verteidigen: in den Sozialen Netzwerken, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, in der Familie und unter Freunden.“ Dazu hat die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach, am 24. Oktober bei der ökumenischen Friedensvesper in der münsterischen Apostelkirche aufgerufen. Die katholische Pfarrei St. Lamberti und die evangelische Apostelgemeinde erinnerten gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) an den Tag des Westfälischen Friedens, den 24. Oktober 1648. 

Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, sprach bei der Friedensvesper über heutige Formen von Antisemitismus.

© Bistum Münster

„Diese Friedensvesper soll ein klares Zeichen gegen jede Form von Antisemitismus sein“, hatte Pfarrer Friedrich Stahlhut von der Apostel-Kirchengemeinde anlässlich des aktuellen Gedenkens „1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland“ zu Beginn betont. Er erinnerte daran, wie stark Jüdinnen und Juden das deutsche Leben und die Kultur mitgeprägt und den Alltag bereichert haben. „Es erschreckt und entsetzt mich, dass jüdische Menschen um ihr Leben fürchten müssen und Kinder noch immer fragen: ‚Warum hassen mich die anderen uns so sehr?‘“, erklärte Stahlhut. 

Eine Frage, die Judith Neuwald-Tasbach nur allzu vertraut ist. Ihr Vater hatte damals keine Antwort darauf. „Heute stelle ich mit Erschrecken fest, dass nicht nur die Frage die gleiche geblieben ist, sondern auch die Antwort. Heute muss ich den Kindern in unserer Gemeinde antworten: Ich weiß es nicht.“ Neuwald-Tasbachs Familie väterlicherseits, bereits seit Generationen in Gelsenkirchen ansässig, wurde im Dritten Reich nach Riga deportiert. „Von 26 Familienmitgliedern haben nur zwei die Befreiung erlebt.“ Die Familie ihrer Mutter sei in Ausschwitz gefoltert worden. Doch ihre Eltern gaben Deutschland, „dem Land der Täter“, noch eine Chance. „Sie haben daran geglaubt, dass die neu geschaffene Demokratie und das Grundgesetz für alle Zeiten sicherstellen würden, dass es niemals mehr Judenhass und Rassismus in diesem Land geben würde“, verdeutlichte Neuwald-Tasbach.

"Jüdisches Leben in Deutschland ist ohne den Schutz der Polizei kaum möglich"

Seit 1945 habe es jedoch nicht ein Jahr ohne antisemitische Vorfälle in Deutschland gegeben. „Mit Erschrecken habe ich festgestellt, dass meine Religion für mich immer mit Polizeipräsenz verbunden ist“, erläuterte die Vorsitzende. So viele Jahrzehnte nach Kriegsende sei jüdisches Leben ohne den Schutz der Polizei noch immer kaum möglich. Drei Mal seien die Fenster der Synagoge in Gelsenkirchen bereits eingeschlagen worden, Hakenkreuze gebe es außen an dem Gotteshaus, aber auch innen, berichtet Neuwald-Tasbach und gab Einblicke in den Antisemitismus heute. So hätten Schüler während einer Führung Hakenkreuze in die Wände der Toilette geritzt, andere erzählten offen, dass der Hitlergruß an ihrer Schule üblich sei. 

Neben dem aktiven Antisemitismus gebe es auch eine Form, bei der weggeschaut werde. „Leute sehen und hören alles, aber sagen und tun nichts, weil sie sagen: Was habe ich damit zu tun?“, sagte Neuwald-Tasbach und sprach von einem „Trugschluss“: „Wir alle haben damit zu tun. Wenn man hier in diesem Land nicht frei seine Religion, seine Kultur leben kann, was uns ja das Grundgesetz garantiert, dann ist unsere Demokratie gefährdet. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die der gesamten Gesellschaft, hier deutliche Worte zu finden, dagegen aufzustehen und Einhalt zu gebieten.“

"Wir sollten dankbar sein für die Vielfalt in unserer Gesellschaft"

Die jüdische Gemeindevorsitzende zeigte sich dankbar für die große Mehrheit der Menschen, die verstanden habe, dass „wir nur gemeinsam unser Leben heute und in der Zukunft gestalten können“. Die vielen Besucherinnen und Besucher der Gelsenkirchener Synagoge bei Gebeten, Führungen und Veranstaltungen seien „Botschafter für ein friedliches Miteinander“ geworden. „Wir sollten dankbar sein für die Vielfalt in unserer Gesellschaft“, mahnte sie. Vielfalt bedeute nicht Gefahr, sondern eine Bereicherung des Lebens. 

Abschließend rief Neuwald-Tasbach dazu auf, schon Kindern Respekt und Akzeptanz als Grundlagen des Zusammenlebens beizubringen. „Diskriminierungen jeder Art, Antisemitismus und Rassismus dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz finden. Keinen Millimeter. Daran müssen wir alle arbeiten, jeder Einzelne in seinem Umfeld. Es ist niemals die Aufgabe des anderen.“
Musikalisch wurde die Vesper gestaltet vom Klezmer-Ensemble „Trio 7,40“ (Klarinette, Akkordeon, E-Bass), ein Trio, das mit seiner Musik überschwängliche Lebensfreude entfaltet, aber auch tiefgründige Melancholie.

Ann-Christin Ladermann

„Diese Friedensvesper soll ein klares Zeichen gegen jede Form von Antisemitismus sein“, betonte Pfarrer Friedrich Stahlhut von der Apostel-Kirchengemeinde.

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