„Nicht gleichgültig sein – das ist vielleicht das Wichtigste.“ Mit diesen eindringlichen Worten schloss der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen aus Tübingen seinen Vortrag beim Jahresempfang der katholischen Akademie Franz Hitze Haus in Münster. Rund 120 geladene Gäste, darunter Kooperationspartner sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft waren für den Abend unter der Überschrift „Krise der Öffentlichkeit und bedrohte Demokratie? Wo stehen wir – und was ist zu tun?“ in die Bildungseinrichtung des Bistums Münster gekommen.
Pörksen analysierte, wie sich Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter transformiert und welche Bedrohungen daraus für die Demokratie entstehen. „Wir erleben ein merkwürdiges Paradox: eine gigantische Öffnung des öffentlichen Raums und gleichzeitig eine vollkommene Vermachtung der digitalen Welt.“ Das Netz sei nicht nur Ort freier Meinungsäußerung, sondern zunehmend auch Bühne von Manipulation und algorithmischer Verzerrung.
Mit vier Diagnosen erklärte Pörksen die Herausforderungen der digitalen Kommunikation: eine extreme Geschwindigkeit, die zulasten der Genauigkeit gehe, eine steigende Ungewissheit, ein Konflikt zwischen Relevanz und Interessantheit, der den Journalismus unter Druck setze und eine Demokratisierung der Manipulation durch künstliche Intelligenz und Fake-Identitäten.
„Wir haben zu viele Scheingewissheiten und zu viel Pseudo-Skepsis“, erklärte Pörksen. Wahr sei heute nicht unbedingt, was belegt ist, sondern was geglaubt und geteilt werde: „Wenn Menschen etwas für real halten, dann ist es in seinen Effekten real. Und wenn sie etwas als potenziell gefälscht begreifen, ist auch das in seinen Folgen real.“
Den Begriff vom „postfaktischen Zeitalter“ lehnt Pörksen dennoch ab: „Er impliziert eine goldene Ära der Wahrheit, die es nie gab – und er spricht die Sprache der Resignation.“ Stattdessen plädiert er für einen „ambivalenzfähigeren“ Umgang mit digitalen Realitäten.
Seine Antwort: Die Gesellschaft müsse selbst „redaktionell“ werden. Die Maximen des guten Journalismus – „Prüfe erst, publiziere später“, „Höre auch die andere Seite“, „Arbeite mit mehreren Quellen“ – müssten Allgemeingut werden. Dazu schlug Pörksen ein eigenes Schulfach für Medienkritik vor, das junge Menschen im Umgang mit Öffentlichkeit schulen soll.
Der Akademiedirektor Dr. Johannes Sabel erläuterte, welchen Beitrag die jüdisch-christliche Tradition zur Orientierung in einer überreizten Medienwelt leisten könne.
Im Anschluss an die medienwissenschaftliche Analyse stellte der Direktor der Akademie, Dr. Johannes Sabel, die Frage, welchen Beitrag die jüdisch-christliche Tradition zur Orientierung in einer überreizten Medienwelt leisten könne. Er erinnerte angesichts der Bilderflut der digitalen Gegenwart an das biblische Bilderverbot. Es enthalte die Einsicht, dass das Bild die Wirklichkeit verzerren und ihre Würde verletzen kann. „Die heutige massive Überflutung mit Bildern unterschiedlichster Qualität und Relevanz greift vielleicht tiefer als wir meinen in unser Verhältnis zur Wirklichkeit ein“, erklärte er. Eine neue „christliche Bildaskese“ könne helfen, Wahrnehmung und Wirklichkeitsbezug zurückzugewinnen.
Auch die zunehmende Simulation von Nähe in sozialen Medien deutete Sabel theologisch: Wo persönliche Erfahrungen öffentlich inszeniert werden, drohe die Verwischung der Grenze zwischen Privatsphäre und Bühne. Dagegen stehe die spirituelle Praxis der Klausur: „Eine Unterbrechung der Informationsflut, ein Rückzug in ‚die Zelle‘ des eigenen Ichs – verbunden mit der Haltung des Gebets.“
Mit Blick auf den politischen Diskurs forderte der Akademiedirektor, dass Demokratie auch die Toten repräsentieren müsse, die Opfer von Gewalt, die aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden. Eine Demokratie, die sich Gerechtigkeit und Teilhabe auf die Fahnen schreibe, müsse sich auch den Stimmen der Toten stellen.
Und er warnte vor religiösem Missbrauch durch Rechtspopulisten: „Wenn Öffentlichkeit von solchen falschen Theologisierungen durchsetzt wird, ist die christlich notwendige Reaktion die, auf den alleinigen Herrschaftsanspruch Gottes zu verweisen.“ Dieser verlange Ordnungen, „die die Gleichheit und Subjekthaftigkeit aller Menschen garantieren und befördern. Alles andere wäre Blasphemie.“