© Simon Kaiser

Neues Konzept im Priesterseminar: Gemeinsam mit allen Getauften leben

, Bistum Münster, Stadtdekanat Münster

Aus dem Fitnessstudio im Keller dringt das Klackern einzelner Trainingsgeräte herauf. Draußen vor der Tür, wo sonst Autos parken, treffen sich sonntags Menschen, die sich auf eine warme Mahlzeit und ein Gespräch freuen. Im Treppenhaus hört man manchmal Orgelspiel. Szenen aus dem Bischöflichen Priesterseminar Borromaeum in Münster. 

Hier wohnen, leben und lernen junge Frauen und Männer gemeinsam, FSJlerinnen und FSJler, Schulabgängerinnen und -abgänger, die sich auf ein Studium vorbereiten, Studierende unterschiedlicher Fächer. Sie büffeln Sprachen, Jura, Medizin, Lehramt, um einige zu nennen, manche Theologie, darunter Priesterbewerber.

Priesterkandidaten nicht isoliert ausbilden

Eine von ihnen ist Hannah Nienhaus (20), die zunächst für ein Sprachenjahr im Borromaeum war und jetzt dort im Rahmen ihres Lehramtsstudiums wohnt und lebt. Sie schätzt am meisten, „dass hier immer was los ist und ich mit den vielen Menschen ins Gespräch kommen kann – sei es über die verschiedenen Glaubensthemen oder Studiengänge.“ Nienhaus empfindet es „als Bestärkung, hier zu erleben, dass es doch noch einige junge Leute gibt, denen der Glaube wichtig ist, weshalb ich häufig auch die Liturgien als Bereicherung sehe.“ Und sie möchte „als Mitbewohnerin einen Beitrag zur Bestärkung der Priesterkandidaten leisten.“

Was auch immer sie gerade für den eigenen Bildungs- und Lebensweg oder als Sozialdienst tun: Im Priesterseminar nehmen die jungen Leute am Hausleben teil. 

Sie kommen immer wieder in unterschiedlicher Zusammensetzung bei Aktivitäten zusammen: bei einer Einführung ins geistliche Leben, einer Gebets- und Bibelschule, einer Begleitung bei Lebens- und Glaubensfragen oder auch mal bei einer Fahrt nach Israel. Darüber hinaus auch bei Thementagen zum Moderieren, zum souveränem Auftreten oder zur Frage „Was mache ich eigentlich im Notfall?“

Regens Hartmut Niehues

Regens Hartmut Niehues

© Bischöfliche Pressestelle Münster / Achim Pohl

Dass die unterschiedlichen Bewohnerinnen und Bewohner die wegen der zurückgehenden Zahl von Priesterkandidaten leerstehenden Zimmer füllen und Mieteinnahmen bringen, ist nur ein schöner Nebeneffekt, betont Regens Hartmut Niehues, Ausbildungsleiter. Wichtiger ist ihm, dass diese Mitbewohnerinnen und Mitbewohner ein Teil eines veränderten Konzepts der Priesterausbildung sind.

Ausbildung im Volk Gottes für Priesterkandidaten, die aus dem Volk Gottes kommen und für den Dienst im Volk Gottes vorbereitet werden – diese Kernidee steckt hinter dem bunten Miteinander in den Gemäuern gegenüber vom Paulusdom. Aus Sicht von Regens Niehues bricht dies zudem männerbündische Strukturen und klerikale Denkweisen auf. „Wer heute hier auf den Priesterdienst vorbereitet wird, erlebt und versteht sich als Teil einer Gemeinschaft von Glaubenden, die durch die Taufe verbunden sind“, erklärt Niehues.

Genau das schätzt auch Jan-Hendrik Mönch (29), einer der Priesterkandidaten: „Ich finde es bereichernd, mit Studierenden ganz unterschiedlicher Fachrichtung zusammenzuleben und in den Austausch zu treten. Das Gemeinschaftsleben im Borromaeum erlebe ich als sehr gewinnbringend und ich habe hier in den vergangenen 2,5 Jahren wertvolle Freundschaften knüpfen können. Mit Blick auf die Priesterausbildung bringen viele Bewohnerinnen und Bewohner ein großes Interesse an unserem Weg mit.“

Wesentlich aus der Sicht von Regens Niehues ist zudem, dass angehende Priester neben theoretischen Studien Einblicke in die gemeindliche Seelsorgepraxis bekommen und in sozialcaritativen Einrichtungen mitarbeiten, etwa in der Pflege von Menschen: „Weil dort das Für-Menschen-Da-Sein greifbar wird, um das es geht,“ betont Niehues. Außerdem wollten die meisten Priesterkandidaten genau das: für Menschen da sein. 

Priester werden geht heute anders, weiß Niehues: nicht mehr von oben herab predigen, sondern in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen und Hauptamtlichen den Glauben leben. Das Borromaeum möchte laut Niehues ein Ort sein, der dafür Raum schafft, indem er Menschen aus allen Lebensbereichen zusammenführt.
Eine Gruppe aus einem dieser Lebensbereiche sind die FSJlerinnen und FSJler im Orientierungsjahr. Bis zu sieben junge Männer und Frauen leben in einer WG zusammen. Immer mittwochs können sie über Lebens- und Glaubensfragen sprechen und an Angeboten teilnehmen. 

Sonntagstreff vor dem Priesterseminar Borromaeum

Ein Bild steht für das vielfältige neue Miteinander im Priesterseminar Borromaeum. Sonntags treffen sich dort auf dem Parkplatz vor dem Haus Menschen, die sich auf eine warme Mahlzeit und ein Gespräch freuen, darunter auch Studierende und Seminaristen, die dort wohnen.

© Bischöfliche Pressestelle Münster / Simon Kaiser

Eine andere Gruppe sind angehende Studierende, die sich in Form eines Sprachenjahres auf ihr Theologiestudium vorbereiten. Neben Sprachkursen wahlweise in Latein, Griechisch und Hebräisch setzen sie sich mit Themen wie „Was heißt es als Christ/in zu leben?“, „Was ist meine Form von Gebet?“ und Prävention ebenso auseinander wie mit Stimmbildung und Rhetorik. Ergänzt wird dies durch grundlegende Einführungen in Theologie, Philosophie und Eucharistie sowie das Angebot einer Bibelschule.

Frauen nehmen schon seit Jahren am Orientierungs- und Sprachenjahr teil. Seit ein paar Semestern gibt es sowohl geschlechtergemischte als auch -getrennte WGs. Alle Bewohnerinnen und Bewohner bringen sich ein, etwa als Sportwart, Bibliothekar, Wäschekellerkönig, beim Küsterdienst oder in der Öffentlichkeitsarbeit. 

Zurzeit nehmen nur vier Priesterkandidaten am Ausbildungsprogramm teil. Dennoch ist es Niehues gerade jetzt wichtig, die Ausbildung zu erneuern. „Was wir machen können, ist eine Priesterausbildung mit Perspektive anzubieten, zukunftsfähig, was die Theologie und das kirchliche Selbstverständnis angeht, nämlich als Glaubensgemeinschaft unterwegs zu sein, ohne Trennung von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen“, sagt er, „das versuchen wir, zu leben!“ 

Eine Kirche im Kleinen sein: Egal, ob beim Beten in den täglichen Gottesdiensten und Andachten, bei den Taizégebeten oder beim Angebot Bibel-teilen, bei dem über eine Schriftstelle gesprochen wird: Glauben kann erlebt und gelebt werden. Was für viele Bewohnerinnen und Bewohner ein offenes Angebot ist, hat für Priesterkandidaten wie Jan-Hendrik Mönch eine ganz zentrale Bedeutung: „Von der Gesellschaft sowie von innerkirchlichen Kreisen begegnen uns immer wieder auch Unverständnis und kritische Anfragen. Insofern halte ich es im Kontext der Priesterausbildung für wichtig, auf dem eigenen Berufungsweg bestärkt zu werden.“

Auch die Verkündigung des christlichen Glaubens ist hier kein Vorrecht von Geweihten. Im sogenannten „Gamma-Kurs“ treffen sich regelmäßig Studierende, um zu essen und sich über einen religiösen Impuls auszutauschen. Alle Teilnehmenden können dabei verkünden – wenn sie getauft sind.

Selbstverständlich arbeitet die Hausgemeinschaft auch caritativ. Schon seit Jahrzehnten werden täglich gegen Mittag belegte Brote ausgegeben. Es gibt eine Teestube für Menschen ohne Obdach und die von zwei Medizinstudenten gegründete Gruppe „Ein Rucksack voll Hoffnung“: Sie betreibt eine Kleiderkammer und gibt sonntags eine warme Mahlzeit aus. 

Zurzeit leben außerdem mehr als ein Dutzend Flüchtlinge aus der Ukraine im Borromaeum. Im Mai 2022 hat Niehues zudem mit dem „Haus der Wohnungslosenhilfe“, einer Einrichtung der Bischof-Hermann-Stiftung, ein Wohnprojekt gestartet. Darin leben vier ehemals Wohnungslose in einer WG im Haus. Von hier aus sollen sie in den normalen Wohnungsmarkt zu kommen. Einer hat schon eine Wohnung gefunden, alle vier arbeiten inzwischen in festen Jobs. 

In den Mauern des Borromaeum hat sich also viel Neues getan, vieles ist in Bewegung. Das sieht man sogar von außen. Im Vorgarten sind die Monokulturen von Hortensien und Rhododendron heimischen Gehölzen gewichen – ein Zeichen nicht nur für Bienen und Vögel, sondern auch für den Wandel im Inneren.