Vertraute und Lehrerin: Liudmyla Serbina unterrichtet ukrainische Kinder an der Bischöflichen Realschule

, Kreisdekanat Warendorf

Illia kommt mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Klassenraum. Schnurstracks läuft er zu Liudmyla Serbina. „Ich habe so Zahnschmerzen. Was soll ich tun?“, fragt er die 42-Jährige auf Ukrainisch. Liudmyla Serbina – mit schulterlangen blonden Haaren, freundlichen Augen und einem ansteckenden Lachen – ist Lehrerin. Für die 20 Schülerinnen und Schüler, die in diesem Jahr aus ihrer Heimat in der Ukraine flüchten mussten und nun die Bischöfliche Realschule in Warendorf besuchen, ist sie noch viel mehr. Vertraute, Trösterin – und ein Stück Heimat. Denn auch Liudmyla Serbina musste zwei Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges mit ihrer Familie fliehen. 

Liudmyla Serbina floh am 10. März mit ihrer Familie aus der Ukraine. Seitdem gibt sie ukrainischen Schülerinnen und Schülern, die die Bischöfliche Realschule in Warendorf besuchen, Deutschunterricht.

© Bistum Münster

Unterstützt von Liudmyla Serbina (hinten rechts) und Lehrerin Beatrix Fahlbusch (hinten links) lernen die ukrainischen Kinder und Jugendlichen in geschütztem Rahmen Deutsch.

© Bistum Münster

Als Schicksal bezeichnet die zweifache Mutter die Tatsache, dass es sie über Umwege nach Freckenhorst verschlagen hat. „Es war die richtige Entscheidung, nach Deutschland zu kommen“, sagt Liudmyla Serbina überzeugt, denn sie weiß: „Wir haben viel Glück gehabt.“ Der frühere Leiter der Landvolkshochschule in Freckenhorst, Hermann Flothkötter, nahm sie und ihre beiden Töchter Eva (10) und Kristina (14) sowie Ehemann Serhii, der wegen einer Erkrankung nicht in der Ukraine bleiben musste, bei sich auf. Das benachbarte Lehrer-Ehepaar Beate und Winfried Klein nahm die Mädchen mit zur Schule, Liudmyla Serbina begleitete sie. „Ich wollte ihnen helfen, mit der Sprache zurechtzukommen“, berichtet die Mutter, die mit ihrer Familie inzwischen in Warendorf wohnt. In ihrer Heimat arbeitete sie als Fremdsprachenlehrerin, sie spricht mehrere Sprachen, darunter Englisch und Deutsch. „Aber Deutsch hatte ich fünf Jahre lang nicht mehr gesprochen“, erinnert sie sich. 

Dass Liudmyla Serbina eine wichtige Rolle bei der Integration der Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine in den Schulalltag spielen kann, erkennt Schulleiterin Claudia Tennstedt schnell. Als eine der ersten Schulen schafft sie über den Caritasverband eine Stelle, von Beginn an kann Liudmyla Serbina den ankommenden Schülern so offiziell beim Deutschlernen helfen. „Die Sprache ist das Wichtigste“, betont die ukrainische Lehrerin. Waren es anfangs sieben Schüler, ist die Gruppe inzwischen auf 20 Mädchen und Jungen aller Jahrgangsstufen angewachsen – „damit sind unsere Kapazitäten ausgeschöpft“, sagt Claudia Tennstedt, die sich gegen sogenannte „Auffangklassen“ entschieden hat. 

Ukrainische Kinder haben viel durchgemacht

Alle ukrainischen Schüler gehören Klassengemeinschaften an, haben aber einen extra Stundenplan: Während der normalen Deutschstunden machen sie einen Sprachkurs bei Luidmyla Serbina, in den anderen Stunden sind sie in den normalen Unterricht integriert. Zusätzlich hat die bischöfliche Realschule alle Schüler aus der Ukraine mit IPads ausgestattet. „Das gibt ihnen nicht nur die Möglichkeit, die Verbindung in ihre Heimat zu halten, sondern vor allem, am Online-Unterricht von Lehrern aus der Ukraine teilzunehmen“, weiß Claudia Tennstedt um das durchaus straffe Programm für die Schüler. 

„Fast alle Kinder haben Angriffe erlebt, zerstörte Häuser und Schlimmeres gesehen“, sagt Luidmyla Serbina, die ihre Heimat selbst Hals über Kopf verlassen musste, als am 10. März plötzlich nicht mehr nur Militärobjekte, sondern 25 Privathäuser in der Nachbarschaft durch russische Militärangriffe zerstört wurden. Sie erinnert sich an Iwan aus Kharkiw: „Einen Monat lang hat er nicht gesprochen, nicht mit mir und mit niemand anderem.“ Oder an den ersten Tag einer ukrainischen Schülerin in der Bischöflichen Realschule: „Sie stand vor mir und ist in Tränen ausgebrochen“, berichtet Luidmyla Serbina. Einen Tag lang hat sie die ukrainische Lehrerin begleitet, sie haben geredet, gespielt und irgendwann auch gelacht. „Am nächsten Tag konnte sie zu den anderen Kindern gehen.“ 

Struktur im Alltag und in der Schule gibt Sicherheit

Luidmyla Serbina, die mit großem Engagement von Lehrerin Beatrix Fahlbusch sowie Antje Vortmeyer unterstützt wird, ist bei ihrem Unterricht eine Mischung aus strukturiertem und spielerischem Lernen wichtig, um die Schüler nicht zu überfordern. „Wir haben Lehrbücher und feste Aufgaben, das gibt den Schülern Sicherheit“, weiß sie. Doch ebenso wichtig sei es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Mädchen und Jungen wohlfühlen. „Sie haben viel erlebt und gesehen, sie müssen auch weiterhin Kind sein dürfen.“ 

Dankbar ist die Ukrainerin der Schulleiterin und dem gesamten Kollegium für die Unterstützung. „Kurz nach unserer Flucht hat uns die Schule einen Ausflug in den Zoo und ins Schwimmbad ermöglicht, was besonders die Kinder von dem Erlebten abgelenkt hat“, berichtet die 42-Jährige. Darüber hinaus gab es ein Elternfrühstück, wo die Eltern der ukrainischen Kinder die Schule besichtigen konnten, und ukrainisch gekocht wurde im Unterricht ebenfalls schon. Auch konnte die Gruppe die Ferien hindurch den Raum in der Schule weiter für den Deutschunterricht nutzen. „Dranbleiben ist wichtig, damit die Kinder die Angst vor der fremden Sprache verlieren“, sagt Luidmyla Serbina, die sich über jeden Fortschritt ihrer Schützlinge freut. 

Der Jahreswechsel ist für die Lehrerin und ihre Schüler mit großen Hoffnungen verbunden: „Wir haben nur einen Wunsch: Wir möchten in unsere Heimat zurückkehren“, spricht Luidmyla Serbina einen Gedanken aus, der sie mit ihren geflüchteten Landsleuten eint. „Aber der Krieg ist nicht vorbei. Wir können noch nicht zurück. Deshalb sind wir sehr froh, hier sein zu dürfen und für unsere Kinder das Beste aus der Situation zu machen.“ 

Ann-Christin Ladermann