Die Zeiten haben sich geändert, die Not ist geblieben. Es sind nicht mehr jene Männer und Frauen, die vor 125 Jahren auf der Suche nach Arbeit in Münster strandeten. Seit der damalige Bischof von Münster, Herman Dingelstad, sie mit seiner Stiftung in den Blick nahm, haben sich Gesellschaft, Sozialsysteme und Lebensverhältnisse verändert. Für nicht wenige Menschen aber ist ihre heutige Not vergleichbar mit der von damals. Etwa 50.000 Obdachlose gibt es laut Landesstatistik in Nordrhein-Westfalen. In Münster waren es 2020 mehr als 1200. Die Bischof-Hermann-Stiftung bietet ihnen weiterhin vielseitige Hilfsangebote.
„Es geht darum, in Not geratenen Menschen mit dem Lebensnotwendigen zu helfen und sie dazu zu befähigen, langfristige Perspektiven für sich zu schaffen“, sagt Dietmar Davids, Geschäftsführer der Stiftung. Für dieses Ziel musste die Stiftungssatzung von 1896 nie verändert werden: Als „Herberge zur Heimat“ sollten Einrichtungen geschaffen werden, in denen „reisenden Handwerkern, Arbeitern und stellenlosen Bediensteten“ eine „möglichst gute und billige Herberge“ mit „guter Verköstigung“ und „angemessener Zerstreuung“ geboten werden sollten.
„Es ist bis heute eine Menschenrechtsarbeit auf der Basis des christlichen Menschenbilds geblieben“, beschreibt Davids das Selbstverständnis der Stiftung. „Die Würde ist nicht abhängig von Beschäftigung oder Wohnsitz.“ Zwar seien heute die Lebenswege der Bewohner und Klienten der Stiftungs-Einrichtungen andere geworden, die grundsätzliche Not aber sei vergleichbar. „Sie kommen, weil Lebensbrüche wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Verlust sie in existenzielle Krisen gebracht haben.“ Zudem sind es oft gesellschaftliche Veränderungen, durch die sie ausgegrenzt werden.
Das Angebot ist über Jahrzehnte ausdifferenziert und erweitert worden. Das wohl bekannteste ist das Haus der Wohnungslosenhilfe (HdW) in der Bahnhofsstraße in Münster. Die Notunterkunft bietet bis zu 80 Männern nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch Verpflegung und Betreuung. Die Stiftung hat mittlerweile aber eine Reihe anderer Zielgruppen mit speziellen Einrichtungen in den Blick genommen. Stationäre Unterbringungen, Langzeit- und Eingliederungshilfen sowie gezielte Hilfen für Migranten gehören dazu. Das jüngste Projekt heißt „Brückenschlag“, das sich an Familien in besonderen sozialen Schwierigkeiten richtet.
Etwa 220 Mitarbeitende in Voll- und Teilzeit stehen dafür bereit – in sozialen, technischen, hauswirtschaftlichen, therapeutischen Diensten bis hin zur Verwaltung. Finanziert werden die Angebote über unterschiedliche Pauschalen und Sätze des Sozialsystems sowie über Spenden und Mittel aus dem Stiftungsvermögen.
Die Stiftung ist ein wichtiger Lobbyist für Menschen in prekären Notlagen, sagt Bernd Mülbrecht. Der langjährige Mitarbeiter und heutige Leiter des Projekts „Brückenschlag“ sieht den Einsatz der Bischof-Hermann-Stiftung als eine Art „Seismograf in der Gesellschaft“. „Wir sind nah dran an jenen, die durch das Raster von sozialen Unterstützungen fallen, in der Öffentlichkeit aber oft kaum wahrgenommen werden.“ Mit Politikern, Behörden und Verbänden steht die Stiftung im ständigen Austausch. „Dabei erfahren wir viel Wertschätzung dafür, im Einsatz für unsere Klienten nicht locker zu lassen.“
Michael Bönte / Gudrun Niewöhner