Bleibendes Mahnmal einer gequälten Kindheit: Hedwig Herrath Beckmann schreibt Buch
Sie erfuhr Gewalt, wo sie Geborgenheit, Missbrauch, wo sie Nähe, und Demütigung, wo sie Wertschätzung suchte- und sie berichtet davon.
Hedwig Herrath Beckmann, Jahrgang 1944, hat über ihre Kindheit und Jugend in einem von Suchtverhalten und Armut geprägten Elternhaus sowie auf der Marienburg in Coesfeld, wo Nonnen sie mit brachialen Erziehungsmethoden quälten, ein Buch geschrieben. Dieses Werk mit dem Titel "Hilifi – Gottes vermaledeite Brut" stellte sie am Freitag (12. September 2014) in Münster vor.
Zwei Tage vorher hatte Herrath Beckmann den Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, getroffen. Dieser bat sie als Vertreter der Kirche um Entschuldigung für das, was ihr auf der Marienburg angetan worden ist. "Mich erschüttert das zutiefst", sagte der Bischof, "das Wichtigste, was ich an Entschuldigung dokumentieren kann, ist, dass ich ihr glaube."
Zu glauben ist vieles von dem, was Hedwig Herrath Beckmann erlitt, freilich schwer. Das zeigte sich auch bei der Buchvorstellung, wo sie von ihrer Zeit im Kinderheim der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung Ende der 40-er / Anfang der 50-er Jahre erzählte.
Beispielhaft schilderte die Autorin, wie sie Hirsebrei mit Heringsschwänzen habe essen sollen, in dem sich Erbrochenes eines anderen Kindes befunden habe. Wiederholt hätten ihr die Nonnen dies vorgesetzt, ohne dass sie es habe anrühren können. Als Strafe habe man sie in eine dunkle, leere Kammer gesperrt – nur eine von unzähligen drastischen Maßnahmen.
Die Erinnerung an solche Qualen ist für Hedwig Herrath Beckmann eigentlich keine Erinnerung, sondern bleibt Gegenwart. "Bis heute kann ich manchmal Gerichte nicht essen, weil sie aussehen, wie sie aussehen, und sei es in einem Vier-Sterne-Restaurant", sagte sie.
In Folge all der Schmerzen "bin ich verstummt, ich konnte einfach plötzlich nicht mehr sprechen." Erst dank einer Nonne, die sich ihr liebevoll und schützend zugewandt habe, sei die Sprache zurück gekommen. Wieder in der Familie, habe sie dann eine Tante sexuell missbraucht, unter der Androhung, bei Verrat dieser Taten zurück ins Heim geschickt zu werden.
Auf dem Gelände der Marienburg befindet sich heute das Haus Hall, in dem Menschen mit Behinderung leben. Hedwig Herrath Beckmann hat es als Erwachsene dreimal besucht, zuletzt vor einigen Tagen. Dabei hätten zwei Schwestern des Ordens – keine Täterinnen – sie um Verzeihung bitten wollen: "Aber ich konnte ihnen nicht die Hand geben, es tat zu weh."
Die Kindheitserfahrungen wirken eben nach, belasteten ihr ganzes Leben: "Ich war immer krank, litt unter seelischem Druck." Zwei Ehen scheiterten. Dennoch gelang es der Autorin, ihre leibliche Tochter und fünf angenommene Kindern gut aufzuziehen. "Ich hatte das Gefühl, Kindern helfen zu müssen, das war die vielleicht glücklichste Zeit meines Lebens", sagt sie rückblickend. Über 60 Jahre habe sie gebraucht, um ihre Geschichte zu erzählen.
Für ihre Stärke zollte ihr Pfarrer Dr. Jochen Reidegeld – als stellvertretender Generalvikar des Bistums zuständig für die kirchlichen Zahlungen zur Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde – Respekt. Wie der Bischof zeigte auch er sich tief betroffen von dem, was Christen Kindern angetan haben und davon, dass diese Taten gedeckt wurden. "Die Zahlungen, die keine Entschädigung sein können, sollen kein formaler Akt sein, sondern wir wollen, wenn gewünscht, Betroffenen entgegenkommen. Wir wollen zeigen, was sie damals nicht erfahren durften: dass man ihnen glaubt." Dies sei Bringschuld der Kirche.
Er sei dankbar für dieses Buch: "Es schmerzt, aber es ist ein Mahnmal für das, was passiert, wenn Kirche sich von ihren Ursprüngen entfernt, wenn sie geistliche Leistung mit Macht verwechselt." Auch deshalb habe die Kirche heute Vorgaben entwickelt, damit in vergleichbaren Fällen sofort gehandelt werde und die nötigen staatlichen Stellen eingeschaltet würden.
Diese Hilfe bekam Hedwig Herrath Beckmann als Kind nicht. Sie habe auch dem Bischof gesagt: "Mich zu brechen, ist ihnen in der Marienburg nicht gelungenen. Aber was sie in mir zerstört haben, ist das kleine bisschen Gottvertrauen, das jedem Menschen zustehen sollte." Sie könne weder an Gott noch an die Kirche glauben. Und doch: "Durch das Gespräch mit dem Bischof und weil er mir von der Prävention im Bistum erzählt hat, sind mir Wackersteine vom Herzen gefallen." Eine kleine tröstende Aussage am Ende eines langen Leidensweges.
Das Buch "Hilifi – Gottes vermaledeite Brut" ist im united p.c. Verlag erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.
Text: Bischöfliche Pressestelle
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