Jan Loffeld zum Strukturprozess

, Bistum Münster

Mit Beginn des Jahres 2024 wurden im Bistum Münster insgesamt 45 Pastorale Räume kirchenrechtlich gebildet. Gründe für die neuen pastoralen Strukturen sind die schwindenden finanziellen Ressourcen und die weniger werdenden Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie die zurückgehende Zahl an Ehrenamtlichen. Die Rahmenbedingungen in und für die Pfarreien werden sich dadurch in den kommenden Jahren radikal verändern. Vor welchen Herausforderungen das Bistum Münster steht, aber auch, welche Chancen sich durch den Prozess ergeben, dazu äußert sich Jan Loffeld, Priester des Bistums Münster und Professor für Praktische Theologie an der Universität in Utrecht:

Jan Loffeld

Jan Loffeld

© privat

Jan Loffeld: Zunächst möchte ich sagen, dass sich diese Prozesse bzw. die Situation auf die damit reagiert wird, niemand ausgesucht oder – aufs Große und Ganze hin gesehen – verschuldet hat. Bereits sind Jahrzehnten ist das religiöse und kirchliche Feld in Bewegung. Das meint unter anderem, dass wir von Dingen Abschied nehmen müssen, die für uns zum Christ- und Kirchesein lange dazugehörten. Daher würde ich nie sofort von der „Krise zur Chance“ springen, denn das würde notwendige Abschieds- und Trauerprozesse blockieren. Es hieße, etwas salopp gesagt, vom Gloria des Gründonnerstags direkt auf jenes der Osternacht umzuschalten. Die Situation heute ist allerdings eher diejenige des Karsamstags. Wir leben in der Hoffnung auf das Neue, das hier und dort bisweilen sichtbar wird, müssen allerdings eine tiefe und grundlegende Transformation bestehen oder besser gestalten. Zugleich sollten wir in diesem Prozess sehr aufpassen, vermeintlich frühere Zeiten zu idealisieren. Denn: Auch die kleinschalige Pfarreistruktur hatte ihre unfrei machenden Engen mit u.a. einer hohen Sozialkontrolle. Christsein und die Entscheidung zum Glauben sind vielleicht noch nie so frei und autonom, aber auch so schwierig und unverständlich gewesen wie heutzutage – gerade mit Blick auf die derzeitige kirchliche Situation. Aber es ist eben die Zeit, in die Gott uns gestellt hat und in der er weiterhin wirkt. Schlimm wäre es, wenn wir nicht mehr aus dieser Hoffnung leben könnten, sondern diese durch einen depressiven oder zynischen Fatalismus abgelöst würde.

Ist sie eine Antwort auf die Herausforderungen, denen sich die katholische Kirche deutschlandweit, und damit auch im Bistum Münster, stellen muss?

Loffeld: Das weiß ich nicht und vielleicht weiß das niemand. Klar ist: Ein Zurück zur alten Struktur wird es nicht geben – und das nicht nur aufgrund des Priestermangels, sondern weil sich auf allen Ebenen das kirchliche Engagement ausdünnt. Die meisten Menschen haben heute einfach Anderes und Wichtigeres zu tun, um ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Unsere bisherigen Strukturen gehen immer noch Voraussetzungen aus, die einfach nicht mehr stimmen. Wichtig finde ich allerdings, dass wir einander beim Suchen nach dem Neuen einander den guten Willen nicht absprechen, aus den kirchenpolitischen Gräben heraus- und von Maximalforderungen wegkommen.

Was braucht es, um, wie Bischof Felix immer sagt, auch künftig die Frohe Botschaft verkünden zu können?

Loffeld: Auch hier wäre eine unfehlbare Antwort geradezu nobelpreisverdächtig. Es geht nur im vorsichtigen und verantworteten Tasten und Suchen miteinander. Nicht zufällig wird derzeit die synodale Weise Kirche zu sein auf unterschiedlichen Ebenen wiederentdeckt, denn sie bietet genau das Potential, solche Prozesse im Hören aufeinander sowie auf den Geist zu gestalten. Eine Gefahr kann es sein, wenn man eigentlich synodal nur das bestätigen lassen möchte, was man selber schon immer wusste oder von vorneherein für den kirchenpolitisch einzig opportunen Weg hält.

Für immer mehr Menschen spielen Kirche und Religion eine immer geringere Rolle. Wie kann es gelingen, diejenigen zu halten, denjenigen gerecht zu werden, für die ihr Glaube eine wichtige Relevanz hat?

Loffeld: Wenn ich das persönlich beantworten darf: Nach rationalen Erwägungen gibt es, seitdem ich denken kann, immer mehr Gründe nicht in der Kirche zu bleiben, weil die Liste dessen, was an Schuld, Unzulänglichkeiten, Diskriminierungen ans Licht gekommen ist, immer länger wurde. Zugleich muss ich sagen, dass ich niemals auf die vielen Menschen verzichten möchte, die ich in der und durch die Kirche kennengelernt habe und denen ich viel verdanke. Dies gilt auch für die vielen, die durch die Geschichte gegen alle, auch kirchlichen Widerstände, geglaubt haben. Ohne sie gäbe es den christlichen Glauben heute nicht mehr. Daher bin ich Christ und Priester in der Kirche, manchmal auch trotz der Kirche, vor allem aber Dank der Kirche im Sinne der Gemeinschaft des Gottesvolkes. Daher würde ich Ihre Frage wie folgt beantworten: Dort, wo Menschen aus dem Glauben Gott und den Nächsten lieben, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und das als Christen miteinander teilen sowie nach außen bezeugen, wird es aller Voraussicht nach weiter gehen. Es darf letztlich nicht darum gehen, Menschen vor allem für eine Institution „zu halten“, das wäre eine Verwechslung von Institution und ihrem Zweck, die Versuchung des sog. Institutionalismus.

Viele kirchliche Vereine und Verbände klagen über Mitgliederschwund. Wie kann ein Abschiednehmen von der gewohnter Gemeinschaft gehen, und was kann in der Kirche künftig vielleicht an Stelle dieser Institutionen treten?

Loffeld: Zunächst muss man sagen, dass auch andere Institutionen bzw. Parteien und Vereine, die auf langfristige Bindung angelegt sind, ähnliche Erosionen erleben. Zugleich ist die Situation für die Kirchen besonders ernst, weil sie ihren „Purpose“ (Zweck) verloren haben: alles, was sie bisher als ihre Domänen betrachteten, ist gesellschaftlich durch andere Bereiche bzw. Zuständigkeiten übernommen worden bzw. wird es in Zukunft sehr wahrscheinlich. Religion an sich, das einzige, wofür die Kirchen mit ihrer langen Tradition in gewisser Weise konkurrenzlos sind, wird gesellschaftlich wie individuell immer weniger benötigt. Ob sich ein solcher Säkularismus irgendwann totläuft, ist noch nicht ausgemacht. Außerdem: Religionen wird zunehmend mit Skepsis begegnet, weil sie, je weiter jemand von ihnen innerlich entfernt ist, als intolerant, gewalt- oder hoch missbrauchsanfällig gelten. Wir stehen also vor der Herausforderung, eine rechtfertigungsbedürftige Minderheit zu werden. Die Frage ist, inwieweit wir bereit sind, auch in dieser Situation für die Umwelt noch eine gemeinwohlorientierte Rolle zu spielen, die nicht moralisch oder überheblich daherkommt.

In der Rückschau, gibt es mutmachende Beispiele in der Historie, die zeigen, wie die Kirche Krisen überwunden hat?

Loffeld: Natürlich, das Christentum (weniger die Kirchen in ihrer institutionellen Gestalt, wie wir sie heute kennen, denn diese sind eher ein Produkt der letzten beiden Jahrhunderte) hat viele Krisen überstanden. Auffällig ist jedoch, dass diese Prozesse etwa in Zeiten des Hochmittelalters ähnlich wie nach der Reformation u.a. durch geistlich überzeugende Gestalten begleitet wurde: Beispielsweise Franziskus und Klara von Assisi oder Ignatius von Loyola. Alle haben auf ihre Weise die Kirche zu ihrem Kern zurückgeführt: Dass ihr Reichtum vor allem das Evangelium ist und aus dieser Perspektive vieles andere relativ werden kann.

Gudrun Niewöhner