Den Kulturschock vermeiden

Wie groß der kulturelle Sprung der jungen Inderinnen und Inder nach Deutschland sein wird, wurde in vielen Momenten deutlich: Als Anne Eckert und Christiane Kröger von der Caritas für das Bistum Münster für zwei Wochen im südindischen Kerala zu Gast waren, um dort angehende Pflegekräfte auf ihre Ausbildungszeit in Deutschland vorzubereiten, standen sie immer wieder vor der Herausforderung, kleine und große menschliche Distanzen zu überwinden. Aber genau darum geht es bei diesem Projekt, bei dem der Diözesancaritasverband Münster eng mit den Einrichtungen und Pflegeschulen im Bistum zusammenarbeitet: Den Kulturschock für die jungen Menschen aus Indien verhindern.

Christiane Kröger und Anne Eckert (zweite und dritte von links) wurden in Indien herzlich empfangen.

© Caritas für das Bistum Münster

Da war zum Beispiel der junge Mann, der in einer Übungseinheit den Blutdruck von Anne Eckert messen sollte. „Die Rolle von Frau und Mann, Distanz und Nähe sind in der indischen Gesellschaft anders definiert als bei uns“, sagt die Leiterin des Bereichs Altenhilfe im Diözesancaritasverband und Mitinitiatorin des Projektes. „Er wollte die Messung machen, ohne meinen Arm zu berühren.“ Viele ähnliche Augenblicke zeigten, wo die jungen Inderinnen und Inder in Deutschland schnell an ihre Grenzen stoßen können. „Bei konkreten Pflegesituationen genauso wie beim Einkaufen, Kochen oder Busfahren.“ 

Sprachlich nehmen sie bereits die meisten Hürden, haben sie doch nach einjährigen Kursen den erforderlichen Abschluss in Deutsch gemacht. Der Pflege-Alltag wird aber trotzdem noch viele Herausforderungen bereithalten. „Wir möchten, dass sie dabei sanft landen, nicht überfordert werden“, sagt Christiane Kröger, die als Projektleitung über das Jahr die Fäden zusammenhält. Das geschieht oft mit kleinen Hilfen: „Radfahren zum Beispiel ist im Münsterland eine wichtige Voraussetzung, um mobil zu sein und zur Schule zu kommen.“ So setzten die Gäste aus Münster auch das auf das vielseitige Programm ihres zweiwöchigen Besuchs. „Es ging dabei immer darum, ihnen ein Gefühl für die Situation zu geben, die auf sie wartet.“

„Unsicherheit nehmen.“ So könnte das Projekt überschrieben sein. Das wurde vor allem in den vielen Gesprächen deutlich. „Die jungen Inder mussten sich erst einmal trauen, uns gegenüber deutlich zu machen, welche Fragen und Vorstellungen sie haben“, sagt Christiane Kröger. „Wir haben sie regelrecht ermuntern müssen, laut und selbstbewusst zu sprechen.“

Selbstbewusstsein brauchen sie auch. Denn der Abschied von ihrer Heimat ist kein leichter. Viele reisen das erste Mal ins Ausland, lassen ihre Großfamilien zurück, kommen mit großem Respekt etwa vor Klima, fremden Essen und Gewohnheiten. „Da ist Heimweh vorprogrammiert“, sagt Anne Eckert. „Und doch bleibt ihr Weg hierher ihr absoluter Hauptgewinn.“ Denn in Indien gibt es oft keine Perspektive für sie. Die Arbeitslosigkeit ist groß, Lehr- und Studienplätze müssen teuer bezahlt werden. „Die Chance, im Ausland eine bezahlte Ausbildung machen zu können, hat etwas Existenzsicherndes für die ganze Familie.“ 

Was für die Inder gilt, gilt auch für die Caritas-Einrichtungen in Deutschland: Es ist ein absoluter Gewinn. Denn das Projekt schafft die Möglichkeit, Auszubildende für die Altenhilfe zu gewinnen. Aus den Einrichtungen kommen durchweg positive Rückmeldungen. „Ich freue mich riesig, wie die Menschen vor Ort Verantwortung übernehmen und sich kümmern“, sagt Christiane Kröger. Dort würden sich die Mitarbeitenden auf die indischen Kollegen vorbereiten, viele Ideen für die Integration entwickeln und ihnen in der Ausbildung hilfreich zur Seite stehen.

So jung das Projekt noch ist, so erfolgreich ist es schon. Anfang Oktober kommen bereits die nächsten Inderinnen und Inder mit dem Flieger nach Deutschland. Insgesamt werden es dann bereits 80 Auszubildende sein, die so ihren Weg in die Caritas-Einrichtungen gefunden haben. 2020 war die Initiative von einem indischen Pfarrer einer deutschsprachigen Gemeinde in Indien und Caritas India angestoßen worden. Mit Hilfe des Diözesancaritasverbands Münster wurden Caritas-Ortsverbände und -Pflegeschulen mit ins Boot geholt. Die Caritas für das Bistum Münster unterstützt das Projekt finanziell, die Mitarbeitende der Caritas bringen viel ehrenamtliches Engagement mit ein.

Caritas für das Bistum Münster / Michael Bönte

Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen, 27 Pflegeschulen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.