Der Anruf bleibt anonym

, Kreisdekanat Borken, Kreisdekanat Kleve, Kreisdekanat Wesel

Von dem Anruf wird niemand etwas erfahren. Die feste Zusage, dass nichts nach draußen dringt, ist für Felix Schmidt (*Name geändert) ein unumstößliches Versprechen. Kein Name, keine Informationen über Alter und Wohnort – das Team der Telefonseelsorge notiert nichts, alles bleibt vertraulich. „Anonymität und Verschwiegenheit sind oberstes Gebot“, betont Schmidt. Der 70-jährige Bocholter ist seit 1999 ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge, ein ökumenische Angebot, das es auch für die Region Niederrhein/Westmünsterland gibt. Wer in Not ist, jemanden zum Reden braucht, der kann rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr kostenfrei die 0800/111 0 111wählen. Immer ist jemand erreichbar, der Zeit hat, zuhört – und bei Bedarf Rat weiß.

Telefonseelsorge

Das Team der Telefonseelsorge (Bild gestellt) Niederrhein/Westmünsterland ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr für Hilfesuchende erreichbar.

© Bistum Münster

Wenn es in dem Büro der Telefonseelsorge in Wesel klingelt, weiß Schmidt nie, was ihn erwartet: „Man sollte eine gewisse Neugier auf Menschen und auf das Leben haben“, nennt er eine Grundvoraussetzung. Die allermeisten der Anruferinnen und Anrufer „brauchen einen Gesprächspartner, weil es ihnen in ihrer momentanen Lebenssituation nicht gut geht“, spricht Schmidt aus Erfahrung. Die Gründe dafür seien sehr verschieden. „Häufig greifen Menschen aus Einsamkeit zum Hörer.“ Manche möchten über Probleme in der Beziehung oder gesundheitliche Beschwerden sprechen. Ein Thema gerade bei Älteren sei zudem die Angst vor der Armut.

Dass ihnen jemand zuhört, mehr wollen die Anrufer oft gar nicht. „Ratschläge gebe ich nur, wenn ich konkret danach gefragt werde, wir sind keine Therapeuten.“ Denn, so hat Schmidt, der früher in leitender Funktion bei der Agentur für Arbeit tätig war, im Laufe der Jahre gelernt: „Die meisten sind Experten ihres eigenen Problems.“ Sie brauchen nur mal jemanden, der ihnen ein offenes Ohr schenkt. Für Schmidt, der von sich sagt, gerne zu reden, ist das Ehrenamt auch eine persönliche Herausforderung: „Ich muss mich selbst disziplinieren.“

Meist übernehmen die Ehrenamtlichen drei Dienste im Monat, die jeweils vier Stunden dauern. Dazu kommt monatlich eine verpflichtende Supervision, um das Gehörte auch verarbeiten zu können: „Irgendwann frisst dich dieses Ehrenamt sonst auf.“ Vieles von dem, was ihm erzählt wird, hätte sich Schmidt vorher im Traum nicht vorstellen können. Er habe dadurch Demut gelernt: „Ich bin mit der Zeit offener und toleranter geworden.“

Aus der Suizidprävention entstanden, kümmert sich die Telefonseelsorge heute um alle Sorgen und Nöte der Anrufenden. Selbsttötungsabsichten spielen immer noch eine Rolle, aber längst nicht ausschließlich. „Wer uns anruft, der hat noch Lust am Leben“, ist Felix Schmidt überzeugt. Die Teammitglieder sind auch Ansprechpartner für Betroffene und Täter von (sexualisierter) Gewalt, die sich im Schutz der Anonymität oft zum ersten Mal überhaupt trauen, über das Erlebte oder Getane zu sprechen. Unter dem Leitsatz ,Aus Worten können Wege werden‘ versuchen die Ehrenamtlichen gemeinsam mit den Anrufenden Wege aus der Lebenskrise zu erarbeiten – unabhängig von der Religionszugehörigkeit.

Die mehr als 100 Ehrenamtlichen im Team Niederrhein/Westmünsterland werden professionell begleitet vom evangelischen Pfarrer Dirk Meyer sowie Karin Hante als sozialpädagogische Mitarbeiterin, die den katholischen Anteil repräsentiert, und Heide Stenmans im Sekretariat.

Pro Jahr melden sich mehr als 10.000 Hilfesuchende bei der Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland. Eine Zahl, die deutlich mache, wie wichtig das Angebot ist, findet Schmidt. Im Durchschnitt seien es mehr als 30 Anrufe pro Tag.

Finanziert wird die Arbeit der Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland vom Bistum Münster sowie den evangelischen Kirchenkreisen Wesel, Kleve, Moers und Dinslaken. 20 Prozent des Haushaltes müssen durch Spenden eingenommen werden.

Neben dem Telefon spielt das Internet für die Telefonseelsorge eine immer größere Rolle. 13 Ehrenamtliche, darunter auch Felix Schmidt, begleiten Personen, die per Mail Rat und Hilfe suchen. Im Unterschied zum Telefon entwickeln sich auf diesem Weg häufig Folgekontakte. Außerdem werden zurzeit 17 Ehrenamtliche für den Chat ausgebildet, die im Januar 2024 mit ihrem Dienst beginnen werden.

Gudrun Niewöhner