Ende 2022 hatte sich ein Betroffener beim Bistum gemeldet, nachdem er sich in der Propsteipfarrei St. Mariä Himmelfahrt Kleve die im vergangenen Jahr veröffentliche Studie ausgeliehen hatte. Bischof Dr. Felix Genn hatte die Studie Ende vergangenen Jahres an alle Pfarreien im Bistum schicken lassen. In der Studie fand der Betroffene keinen Hinweis auf diesen Priester. Er wandte sich daraufhin an Propst Johannes Mecking, der umgehend den Kontakt zum Interventionsbeauftragten des Bistums Münster vermittelte. Darüber hinaus hatte sich 2021 ein weiterer Betroffener beim Interventionsbeauftragten gemeldet. In dem Dossier wird deutlich, dass der Fall des ehemaligen Direktors des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Kleve zwar auch in die vom Historischen Seminar der Universität Münster zur Aufarbeitung des Missbrauchs im Bistum aufgestellten Studie eingegangen ist, allerdings nur quantitativ und ohne Namensnennung.
Nach Veröffentlichung des Falls in den Medien gab es bis zum September – dieser Datenlage entspricht das Dossier – elf weitere Meldungen von Betroffenen und sogenannten Wissensträgerinnen und -trägern mit konkreten Vorwürfen. Nach Auswertung der Vorwürfe wird im Dossier das Fazit gezogen, dass F. zwischen ca. 1960 und den frühen 1980er-Jahren weitgehend während gemeinsamer Urlaube, in seinem Klever Haus, in einem Pfarrhaus und in seinen Schulbüros Missbrauch an mindestens 25 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 16 Jahren beging, wobei Doppelzählungen nicht auszuschließen seien. Von den 25 Kindern seien fünf Mädchen gewesen. Die mutmaßlichen Taten reichten laut Akten von grenzverletzendem Verhalten, über Nacktfotos bis zur Manipulation der Genitalien und riefen bei mehreren Betroffenen teils schwere psychische Beeinträchtigungen vor.
Das Dossier umfasst 18 Seiten und deckt auf, dass es zwar Hinweise und Gerüchte um F. gab, es allerdings keine oder zumindest keine eindeutigen Hinweise auf missbräuchliches Verhalten des Priesters, der bis 1986 offiziell Geistlicher der Erzdiözese Paderborn war, in den Personalakten der Schulbehörden oder des Bistums Münster gab. Offenbar verhinderten lange Zeit die Position als Priester und Schuldirektor und vermutlich Scham, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten oder das Bistum zu informieren. Einen konkreten Hinweis erhielt der damalige Bischof Reinhard Lettmann Ende der 1980er-Jahre durch den Brief eines Betroffenen. Über die Reaktionen darauf gibt es, auch das wird im Dossier dargestellt, unterschiedliche Ansichten. Der Priester, der zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt war, wurde jedenfalls entpflichtet, durfte aber in Kleve wohnen bleiben. Eine Entschuldigung gegenüber dem Betroffenen blieb aus. Bereits 2010 hatte die Missbrauchskommission des Bistums nach Meldungen durch drei Betroffene recherchiert, damals erfolgte jedoch keine Veröffentlichung.
F. war von 1970 bis 1980 als Studiendirektor am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve tätig. Der beschuldigte Priester war seit 1971 auch als Seelsorger in Reichswalde eingesetzt und war von 1980 bis 1988 Pfarrverwalter in Keeken und Bimmen. Weitere Betroffene oder andere Menschen, die Angaben machen möchten, können sich direkt an die Interventionsstelle oder an die Ansprechpersonen bei Fällen sexuellen Missbrauch wenden. Alle Kontaktdaten sind auf der Internetseite des Bistums zum sexuellen Missbrauch zu finden.
Christian Breuer