Erwartungen an das Gesundheitssystem ären

"Im Gesundheitswesen steht heute nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern die Kosten" - dieses Aussage der CDU-Politikerin Rita Süssmuth hat Weihbischof Dieter Geerlings am 7. Mai zitiert, als er das Ärztetreffen des Bistums Münster eröffnete.

Mehr als 200 Mediziner aus der ganzen Diözese waren zu dieser Informations- und Fortbildungsveranstaltung ins Münstersche Franz-Hitze-Haus gekommen.

Das Treffen stand unter der Überschrift: "Der Beruf des Arztes im Spannungsfeld zwischen ärztlicher Verantwortung und Ökonomisierung der Medizin". Die zentrale Frage bei diesem Thema sei, ob und wie die Gesellschaft sich darüber klar werde, was sie vom Gesundheitswesen erwarte, erklärte Geerlings. Der Weihbischof kritisierte, dass eigentlich übergeordnete Fragen nach Werten immer noch ungeklärt seien und dass sie derzeit bei der Diskussion um die konkrete Um- und Ausgestaltung des Gesundheitswesens "im Gewand der Ökonomisierung" daher kämen.

Die Schere zwischen dem Machbaren und dem Finanzierbaren öffne sich im Gesundheitswesen immer weiter, erklärte Pfr. Dr. Ludger Winner, Akademikerseelsorger des Bistums und Organisator des Treffens in seiner Einleitung. Es dränge sich die Frage auf, wo für den Arzt Raum bleibe, seiner beruflichen Verantwortung gerecht zu werden, wenn ökonomische Gesichtspunkte immer dominanter würden. Dabei ziele das ärztliche Berufsethos eigentlich darauf ab, "die Würde und das Wohlergehen des Patienten in den Mittelpunkt aller medizinischen Versorgung zu stellen", erinnerte Winner.

Das Hauptreferat hielt Prof. Dr. Dominik Groß vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Klinikum der Rheinisch-Westfälischen-Technischen Hochschule Aachen. Anhand von Zahlen und Fakten wies der Hochschullehrer auf die wachsende Finanzierungslücke für das Gesundheitswesen hin. Aus seiner Sicht ist die Kernfrage: "Welche Gesundheitsleistungen können und wollen wir uns noch leisten, zu welchem Preis und welche Rolle sollen Ärzte dabei spielen?" Antwortversuche auf solche Fragen führten zwangsläufig zu einem ethischen Dilemma: Wenn menschliches Leben unter finanziellen Gesichtspunkten bewertet werde, widerspreche dies der ethischen Grundannahme, das menschliches Leben unbezahlbar sein, verdeutlichte Groß.

Strategien zur Begrenzung von Gesundheitsausgaben seien unterschiedlich gerecht. Bislang habe der Leitgedanke: "Was können wir tun, um uns weiter alles leisten zu können" in Richtung Rationalisierung gewiesen. Die damit bewirkte Effizienzsteigerung sei ethisch unumstritten, aber für die Zukunft nicht hinreichend, um die Finanzierungslücke zu bewältigen.

Eine andere Strategie sei die Rationierung, also ein Zuteilen oder Vorenthalten von medizinischen Gütern und Dienstleistungen. Dies sei nur bedingt ethisch vertretbar, erläuterte Groß. Die Budgetierung für Haushaltspraxen etwa verlagere die Einzelfallentscheidung auf die Schultern der Ärzte. Problematisch sei es auch, wenn man mit dem an medizinischer Versorgung zufrieden sein müsse, was der Staat zubillige. Kritisch wertete Groß auch direkte Formen von Rationierung, bei denen bestimmte Personengruppen von Leistungen ausgeschlossen würden.

Die dritte Strategie, die Priorisierung, bei der bestimmten Heilmaßnahmen, medizinischen Verfahren und Patientengruppen Vorrang und anderen Nachrang zugewiesen werde, bezeichnete Groß als "sehr wichtig, wertvoll und wegweisend". Zwar sei es nicht einfach, Kriterien für die Rangfolgen zu entwickeln, räumte Groß ein. Nachbarländer wie die Niederlande oder Schweden hätten dieses Prinzip längst eingeführt.

Diese Strategie empfahl Groß für eine künftige Gesundheitsreform, die in offener und partizipativer Diskussion bei Kosten- und Interessentransparenz zu entwickeln wäre. Sie müsse die Basisversorgung ohne Abstriche sicher stellen, das Prinzip der Solidarität beibehalten, Zurückhaltung bei der Einführung von Neuerungen üben, Qualitätsstandards definieren und Widerspruchsmöglichkeiten eröffnen, forderte Groß.

Massive Kritik übte Groß schließlich an der "wunscherfüllenden Medizin", der beispielsweise Schönheitsoperationen, Gehirndoping, Viagra oder medical Piercings zuzuordnen seien. Dies führe zur "Verunklarung des Berufsbildes", gefährde das Ansehen des Arztberufes und sei nicht Bestandteil des ärztlichen Heilauftrages, stellte Groß klar: "Nicht der Wille des Patienten ist entscheidend, sondern sein Heil".

Das abschließende, lebhafte Gespräch mit dem Referenten moderierte Chefarzt Dr. Peter Kleine-Katthöver aus Münster. Groß erntete dabei viel Zustimmung, aber auch einige kritische Anmerkungen zu seinen Thesen. Auf großen Applaus stieß am Ende ein Wortbeitrag, in dem gefordert wurde, die katholische Ärzteschaft müsse sich gemeinsam positionieren, um sich gegen das Denken mit den Zahlen im Kopf zu wehren.

Text: Bischöfliche Pressestelle
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