Forum im FHH verbindet katholische Soziallehre und Tarifpolitik

, Bistum Münster

Das Thema der Lohngerechtigkeit ist ein gleichermaßen wichtiges, ja existenzielles, wie auch hochkomplexes – und ein christlich-katholisches. Das ist im Rahmen des Forums „Katholische Soziallehre konkret. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ am Donnerstagabend in der Akademie Franz Hitze Haus unter Schirmherrschaft des Bischofs von Münster, Dr. Felix Genn, deutlich geworden. 

„Erklärung von Münster“ fordert Lohngerechtigkeit

An deren Ende stand die „Erklärung von Münster zur Lohngerechtigkeit“, in der die einladenden Verbände Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), Katholische Frauengemeinschaft (kfd) sowie der Bund Katholischer Unternehmer (BKU) und die Kolping-Initiative „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ die Politik unter anderem dazu auffordern, autonom ausgehandelte Tarifverträge für alle Akteure in einer Branche für verbindlich zu erklären – auch für Werkverträge und Leiharbeit. Lohndumping würde unter anderem so wirksamer eingedämmt werden können.

Weitere Forderungen der Erklärung: Öffentliche Vergaben sollten nur noch an tarifzahlende Unternehmen erfolgen und eine Überarbeitung des Entgelttransparentgesetzes mit einer deutlichen Herabsetzung der Mindestbeschäftigtenzahl für die Berichtspflicht, effektiven Sanktionsmechanismen und einem Verbandsklagerecht. 

Diesen Anliegen stellten sich vor Ort in Münster mit

  • Karl-Heinz Hagedorn, CDU/Vorsitzender der CDA Steinfurt
  • Jürgen Coße, SPD, Bundestagskandidat Steinfurt
  • Maria Klein-Schmeink MdB und Bundestagskandidatin, Die Grünen, stv. parlamentarische Geschäftsführerin und gesundheitspolitische Sprecherin
  • Carl-Julius Cronenberg MdB und Bundestagskandidat, FDP, Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales
  • Matthias Birkwald, MdB und Bundestagskandidat, Linke, Mitglied im Bundestagsauschuss Arbeit und Soziales

Politiker demokratischer Parteien. Über Parteigrenzen hinweg waren sie sich einig, dass das Thema der Lohngerechtigkeit ein wichtiges und zukunftsweisendes sei, eines, in dem akuter Handlungsbedarf bestehe, zum Wohle des gesellschaftlich-sozialen Zusammenhalts. Der wiederum biete die Grundlage, einer stabilen Demokratie.

Antonius Kerkhoff

Direktor der Akademie Franz Hitze Haus und am Donnerstagabend Gastgeber und Kooperationspartner

Dr. Cornelius Bachmann vom Institut für Christliche Sozialwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) ordnete die Lohngerechtigkeit in den Zusammenhang der katholischen Sozialverkündigung ein.

© Bischöfliche Pressestelle/Jule Geppert

Die Lohngerechtigkeit in den Zusammenhang der katholischen Sozialverkündigung einzuordnen, gelang Dr. Claudis Bachmann vom Institut für Christliche Sozialwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Er machte deutlich: „Das Thema ist für uns ein Klassiker, und reicht zurück bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, besonders die Aspekte des gerechten Familienlohns und der gesamtgesellschaftlichen Lohngerechtigkeit.“ Die Herausforderung bestehe darin, die Grundlagen katholischer Sozialverkündigung, die unter anderem in päpstlichen Schreiben verankert sind, in das hier und jetzt zu übertragen. „Es geht um den Ausgleich von Leistung, Bedarfsgerechtigkeit und Anerkennungsgerechtigkeit. Das Individuum ist Ebenbild Gottes, dem eine Würde innewohnt, und das nicht nur bloße Ware oder Bestandteil der Produktion ist.“ 

Erfreut zeigte sich Werner Schniedermann von der Kolping-Initiative „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“: „Fast alle Parteien haben die Stärkung der Tarifbindung in ihr Wahlprogramm aufgenommen.“ Er fügte aber umgehend hinzu: „Jetzt ist eine Umsetzung gefragt.“ Lohndumping wuchere in unterschiedlichen Branchen. Die Folge: Die soziale Schere klaffe immer weiter auseinander, gesellschaftliche Spaltung nehme zu,  Abstiegsängste griffen bei Betroffenen um sich. Allen Branchen sei gemein, dass der Mindestlohn drohe zum Normallohn zu werden und somit den Tariflohn aushöhle. „Bei dieser Systematik und einem Mindestlohn von aktuell 9,60 Euro ist die Kette Minilohn, Minirente, Armut nicht zu durchbrechen. Im Rentenalter werden auf diese Weise viele Menschen zu Aufstockern, dem Staat fehlt dadurch Geld für Investitionen in Bildung, Digitalisierung und Klimaschutz.“ Der katholischen Kirche riet er, sich weniger mit sich selbst zu beschäftigen, denn „die katholische Soziallehre ist Ideengeber für die soziale Marktwirtschaft und Impfstoff gegen Radikalisierung.“  

Hermann Hölscheidt (Diözesansekretär KAB Münster) mahnte ebenfalls: „Die Armut trotz Vollzeitarbeit steigt.“ Eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen sei unerlässlich. Dadurch würde der Tarifflucht ebenso entgegengewirkt wie dem Sozial- und Lohndumping, und zwar ohne die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie auszuhebeln. „Der Markt sollte es richten, aber er hat versagt“, betonte er. 

Der Punkt der geschlechtergerechten Bezahlung stellte Dr. Beatrix Bottermann (Leitungsteam kfd Münster) in dem Mittelpunkt. Sie verdeutlichte: „Frauen verdienen im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Das ist diskriminierend. Der Lohnvorteil für Arbeitnehmerinnen mit Tarifvertrag gegenüber denen ohne ist für Frauen also größer als für Männer.“ Eine Ursache des Gender-Pay-Gaps, der Lohnlücke, sei die fehlende Wertschätzung für Berufe im Sozial- und Gesundheits- sowie im Erziehungsbereich, in denen viele Frauen arbeiteten. „Obwohl diese Arbeit wichtig ist, ist die Bezahlung vergleichsweise schlecht und die Arbeitsbelastung sehr hoch“, machte sie klar. Die Folgen seien Fachkräftemangel und Pflegenotstand. Ernüchtert stellte sie heraus: „Appelle, Aufklärung und freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft haben in der Vergangenheit nicht dazu geführt, dass sich die Lohnlücke verringert, ganz im Gegenteil. Viele Branchen in denen Frauen arbeiten, sind von der Tarifflucht betroffen.“

„Arbeit muss sich lohnen. Tarifbindung muss gestärkt werden, die EU-Entsenderichtlinie, durch die ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr von den in Deutschland geltenden Arbeitsbedingen profitieren, ebenfalls.“ (Hagedorn), „Wir müssen auch jenseits von Parteigrenzen schauen, das alle Experten an einer Lösung dieses komplexen Sachverhalts arbeiten“ (Coße), „Wir brauchen attraktive Tarifverträge und müssen in die Bildung investieren.“ 

(Cronenberg), „Die soziale Spaltung ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Die Politik steht unter Druck – auch durch den demografischen Wandel als verstärkender Faktor des Fachkräftemangels.“ (Klein-Schmeink), „Es geht um gleichwertige Arbeit. Um einen Rentenpunkt zu erwerben, muss man 41.544 Euro im Jahr verdienen, das schaffen momentan viele Menschen im Niedriglohnsektor nicht. Deswegen: Mindestlohn rauf.“ (Birkwald) – das Podium der in der Politik Engagierten setzte Schlaglichter vermittelte, dass das Thema des Abends sehr wohl auf der Agenda für die nächste Legislaturperiode nach der Bundestagswahl am 26. September stehe. 
 

Widmeten sich am Donnerstagabend dem Thema der Lohngerechtigkeit (v.l.) Jürgen Coße (SPD, Neuenkirchen), Carl-Julius Cronenberg MdB (Hochsauerland, FDP), Maria Klein-Schmeink (Grüne, Münster), Matthias Birkwald (Köln, Linke), Moderatorin Dr. Claudia Kramer-Santel, Antonius Kerkhoff (Direktor der Akademie Franz Hitze Haus), Hermann Hölscheidt (KAB Münster), Dr. Beatrix Bottermann (kfd Münster), Werner Schniedermann (Kolping-Initiative „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ und Maria Terbeck (kfd Münster)

© Bischöfliche Pressestelle/Jule Geppert