Glocke zurück in der Heimat

, Bistum Münster

Es war Ende vergangenen Jahres eine kleine Sensation: Jahrzehntelang war niemandem die alte Glocke im Innenhof des Kirchengerichts, dem Bischöflichen Offizialat am Domplatz, aufgefallen. Bis Mitglieder einer Kirchengemeinde in Polen auf die Glocke aufmerksam wurden. Zwei Jahre hatte die Gemeinde Heilige Katharina aus Alexandrien in Sławięcice – früher Ehrenforst im Kreis Cosel in Oberschlesien – nach „ihrer“ Glocke gesucht. Corona bedingt musste der Transport nach Schlesien immer wieder verschoben werde. Nun kehrte sie zurück, nach 77 Jahren. Zu Beginn der Woche war eine Delegation nach Drensteinfurt gekommen, wo die Glocke übergangsweise deponiert worden war, um sie von dort mitzunehmen.

Glocke

Fürs Erinnerungsfoto setzten sich Vertreter des Pfarreirates der Gemeinde Heilige Katharina aus Alexandrien in Sławięcice zusammen mit Prof. Dr. Thomas Flammer (links) zur Glocke in den Kleintransporter.

© privat

Bereits im Juli war die Glocke aus dem Jahr 1555 aus dem Innenhof in Domplatznähe geholt und bei einem Steinmetz in Drensteinfurt zwischengelagert worden. Wie groß die Freude in der polnischen Kirchengemeinde über die Heimkehr der Glocke ist, zeigte sich auch darin, dass überraschenderweise eine Gruppe von 23 Personen, von denen einige inzwischen in Deutschland leben, sich auf den Weg ins Bistum gemacht hatte, um „ihre“ Glocke abzuholen.  

Noch am Abend erhielt Prof. Dr. Thomas Flammer, Leiter der Abteilung Kunst und Kultur im Bischöflichen Generalvikariat in Münster, per Mail ein Foto der geschmückten Glocke aus Polen. „Gestern Morgen wurde dort ein Willkommensgottesdienst gefeiert“, weiß Flammer. Im Spätherbst oder im Frühjahr soll die Glocke im Rahmen eines großen Festes aufgehängt werden, hätte der Besuch aus Polen angekündigt.

Zwei Jahre – für die polnischen Katholiken, die intensiv nach der verloren geglaubten Glocke gesucht hatten, eine gefühlte Ewigkeit. Doch kein Vergleich zur langen Geschichte der Glocke, die im Zweiten Weltkrieg eine schicksalhafte Wendung erfuhr. Im Deutschen Reich mussten alle Kirchen – auch die schlesische Gemeinde – ihre Glocken abgeben, weil sie wegen ihres Bronzeanteils zum sogenannten „kriegswichtigen Material“ zählten. Man wolle „für eine Kriegsführung auf lange Sicht erforderliche Metallreserven schaffen“, hieß es damals. Lediglich eine Glocke sollte im Schnitt pro Gemeinde verbleiben. Rund 80.000 Glocken wurden während des Krieges von der deutschen Rüstungsindustrie zu Waffen und Munition verarbeitet.

Doch einige Glocken überstanden auf dem zentralen Glockensammelplatz in Hamburg, auch Glockenfriedhof genannt, den Zweiten Weltkrieg. Monatelang wurden nach Kriegsende Gussdaten, Verzierungen und Inschriften dokumentiert, Schwarz-Weiß-Fotos gemacht. Ein „Schatz“, der 1966 ins Glockenarchiv ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg übersiedelte. 

Längst waren die meisten der übriggebliebenen Glocken in ihre Heimatgemeinden zurückgeführt worden. Nicht aber die rund 1.300 Glocken aus den ehemaligen Ostgebieten. Die britische Militärregierung hatte die Rückgabe untersagt. Doch in Hamburg konnten sie auch nicht bleiben, also wurden sie als sogenannte Patenglocken an westliche Kirchengemeinden ausgeliehen. „Auch das Bistum Münster hat mehrere Glocken zugesprochen bekommen“, weiß Flammer. Drei von ihnen lagerten seit vielen Jahren im Innenhof des Kirchengerichts. Ursprünglich waren sie für die Diözese Aachen bestimmt. Warum sie in Münster strandeten, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.

Pfarrer Marian Bednarek hatte im Buch „Leihglocken“ von Marceli Tureczek ein Foto entdeckt, auf dem die Glocken der polnischen Gemeinde mit einem Pferdefuhrwerk abtransportiert wurden. Die Bildunterschrift lautet übersetzt: „Die Glocken kommen nie mehr zurück in die Pfarrgemeinde Sławięcice / Ehrenforst.“

Über eine Kennziffer in dem Buch bekam der Pfarrer heraus, dass sich die Glocke in Münster befand. Er kontaktierte Hans Manek, der inzwischen in Rommerskirchen zu Hause ist, der wiederum Kontakt mit dem Bischöflichen Generalvikariat aufnahm.

Die Suche war damit abgeschlossen, doch die Glocke noch nicht wieder in Polen. Es galt bürokratische Hürden zu überwinden. Denn offiziell ist die Glocke im Besitz der Bundesrepublik und kann nur mit einem Einverständnis des Bundesinnenministeriums zurückgegeben werden. „Unser Verhandlungspartner in Glockenfragen war das katholische Büro in Berlin“, sagt Flammer. Es vergingen Monate, in denen die Papiere zur Prüfung auf den Schreibtischen der dort Zuständigen lagen, das Innenministerium die Übernahme der Kosten klären musste und ein Vertrag aufgesetzt und übersetzt werden musste. Dann endlich gab Berlin grünes Licht: „Es gibt einen Dauerleihvertrag zwischen dem Bistum Münster und der Gemeinde in Sławięcice“, erklärt Flammer. Der Diözesankonservator freut sich mit den polnischen Katholiken: „Schön, dass die Glocke wieder an ihren Ursprungsort zurückgekehrt ist.“

Ann-Christin Ladermann / Gudrun Niewöhner