Kreatives Querdenken in scheinbar ausweglosen Situationen
"Der Schmerz des Sterbens und der Trauer hat viele Gesichter", sagt Sozialarbeiterin Prof. Dr. Verena Begemann.
Die Professorin für Ethik und Sozialarbeitswissenschaften an der Hochschule Hannover ist davon überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit Endlichkeit und Vergänglichkeit die Menschen "bewusster, ehrlicher und demütiger" werden lässt. Wie sich dies speziell im Hospiz- und Palliativbereich zeigt, darüber spricht Begemann beim 15. Nordwestdeutschen Hospiztag unter dem Motto "Vom Umgang mit dem Schmerz". Die Veranstaltung, an der mehr als 260 Interessierte teilnehmen, findet am Dienstag, 13. Juni, in der Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster statt.
Grundlage ihrer Argumentation ist das von der Hospizpionierin Cicely Saunders geprägte "total pain"-Konzept, das Schmerzen in körperlicher, psychischer, sozialer und spiritueller Dimension wahrnimmt. "Dazu braucht es Übung, Erfahrung, das Sich-Einlassen auf den Betroffenen und Zeit", verdeutlicht Begemann. Durch aktives Zuhören öffneten sich die Menschen und erzählten von körperlichen und psychischen Schmerzen, von sozialen Beziehungen und Rollen und ihrer Angst vor dem Verlust dieser Rollen. Die Sozialarbeiterin sieht das Zuhören als Geschenk an die Betroffenen: "Anerkennung der subjektiven Empfindungen sollte Kern und Ziel jeder mitmenschlichen Begegnung sein und dafür brauchen wir Zeit."
Bei diesem ganzheitlichen Ansatz gebe es außerdem einen Zusammenhang zwischen Schmerz und Spiritualität. "Spiritueller Schmerz zeigt sich, wenn Menschen ihre Wurzeln nicht mehr spüren, sie den Halt im Leben verloren haben und sich nicht mehr sicher und geborgen fühlen", beschreibt die Referentin. Der Mitmensch als das "Du" sei dafür wichtig, außerdem "eine lebendige Hoffnung", um diesen Schmerz zu lindern und zu heilen.
Schon mehrmals hat Begemann in der praktischen Hospizarbeit erfahren, was es für Patienten bedeutet, wenn der Schmerz in seinen unterschiedlichen Dimensionen wahrgenommen wird. "Als eine Patientin trotz hoher Morphingabe unter für sie nicht auszuhaltenden Schmerzen litt, kam eine Kollegin auf die Idee, eine Klangschalentherapie auszuprobieren, um die Schmerzen zu lindern. Der Versuch war erfolgreich, die Patientin wurde ruhiger, die Schmerzen wurden weniger", erzählt sie. In einem anderen Fall habe einem Patienten der Besuch seines Sohnes, zu dem er lange keinen Kontakt mehr hatte, Schmerzlinderung verschafft. "Das zeigt, wie wichtig ein kreatives und gemeinsames Querdenken in Situationen ist, für die wir zunächst keine Lösung haben", betont Begemann.
Darum fordert sie, die hospizliche und palliative Versorgung mit Blick auf multiprofessionelle, also mehrere Berufe betreffende, Teams zu verstärken. Darüber hinaus bedürfe es mehr Geld für gut ausgebildete Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen. "Der Pflegenotstand ist in vielen Institutionen unerträglich geworden", sagt sie. Ehrenamtliche seien notwendiger Bestandteil einer Palliativversorgung und förderten Selbstständigkeit und Teilhabe im letzten Lebensabschnitt, dürften aber "keine Lückenbüßer für fehlende Professionelle" sein. "Als Gesellschaft leiden wir darunter, dass den Verletzlichkeiten des Alterns nicht die notwendigen personellen und materiellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Dieses Phänomen ist ein sozialer Schmerz, den wir nur politisch und gemeinschaftlich in der Haltung der Fürsorge bekämpfen und lindern können."
Der Nordwestdeutsche Hospiztag findet in Zusammenarbeit mit dem Johannes-Hospiz Münster, dem Franziskus-Hospiz Hochdahl, Erkrath, dem Hospiz zum Heiligen Franziskus, Recklinghausen und dem Hospiz- und Palliativ-Verband NRW statt. Eine Teilnahme ist aus Kapazitätsgründen nicht mehr möglich.
Bildunterschrift: Prof. Dr. Verena Begemann spricht beim 15. Nordwestdeutschen Hospiztag.
Text: Bischöfliche Pressestelle / 07.06.2017
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