Krippenszene mit Gesellschaftskritik

, Kreisdekanat Warendorf

Es ist vermutlich der erste Revolver, der jemals in der Krippenkunstausstellung im Telgter Religio-Museum zu sehen war. „Die Heilige Familie und daneben ein Revolver – das passt auf den ersten Blick nicht zusammen“, spricht Sabine Hengemann aus, was womöglich viele denken. Das Thema der Ausstellung, „Weihnachtsfrieden“ hat die 61-jährige Landwirtin aus Everswinkel zu dieser drastischen Darstellung veranlasst, mit der sie an der diesjährigen Krippenkunstausstellung teilnimmt.

In ihrer Krippendarstellung hat Sabine Hengemann aus Everswinkel ausrangierte, ausgewählte Gegenstände in einer Schublade angeordnet.

© Stephan Kube, Religio-Museum Telgte

Sabine Hengemanns Krippendarstellung ist in der Krippenkunstausstellung im Religio-Museum in Telgte ausgestellt.

© Bistum Münster

„Ich musste an den Weihnachtsfrieden von 1914 im Ersten Weltkrieg denken“, teilt Sabine Hengemann ihre Gedanken zur Entstehung ihres Kunstwerkes. Der Mut der Soldaten, die damals nach endlosen Monaten voller körperlicher und seelischer Belastungen von sich aus für die Dauer der Weihnachtstage Waffenruhe schlossen, habe sie fasziniert. „Solche Wunder wünsche ich mir auch heute“, sagt Sabine Hengemann über eine Welt, die nicht nur durch diverse kriegerische Auseinandersetzungen brutal erscheint. Auch im direkten Alltag würden Menschen nicht selten im Unfrieden leben. 

„Das Thema Vorurteile treibt mich in letzter Zeit um“, berichtet Sabine Hengemann. Ihr Werk hat sie deshalb mit „Schubladendenken?“ überschrieben – und ausrangierte, ausgewählte Gegenstände dafür in einer Schublade angeordnet. „Niemand kann sich komplett von Vorurteilen frei machen, aber wir sollten uns öfter hinterfragen – lieber das Gespräch miteinander suchen als Schubladen im Kopf füllen“, wünscht sich Sabine Hengemann. 

Blickfang ihrer Krippendarstellung ist der besagte alte, verrostete Revolver. „Den hat meine Tochter beim Hausumbau in der Erde gefunden“, berichtet sie von dem ungewöhnlichen Fund. Zu einem Bogen gelegte Munitionen sind ein Symbol für die Kriege auf der Welt. Eine Holzhand, die ein weißes Taschentuch hält, gibt Hoffnung: Wie beim Weihnachtsfrieden 1914, als Soldaten mit eben einem solchen weißen Taschentuch winkten, bringt Sabine Hengemann damit die Hoffnung auf Frieden zum Ausdruck, die von einem Engel an der Rückwand der Schublade bewacht wird. 

Auch eine Stoppuhr hat einen Platz in Hegemanns Assemblage, das ist eine Collage aus plastischen Gegenständen, gefunden. „Sie steht für die Sehnsucht, der Realität zu entfliehen“, erklärt die Landwirtin. Oftmals werde man im Alltag mit Informationen überflutet, es fehle die Zeit, sich eine eigene Meinung zu bilden, um Schubladendenken zu vermeiden. 

Die Heilige Familie am vorderen Rand der Schublade – Figuren aus Hegemanns Kindheitskrippe – ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen. „Aus klein wird groß“, ist die Devise der Künstlerin an dieser Stelle. Und so hat sie eine Lupe über dem Jesuskind, das auf goldenem Lametta gebettet ist, installiert: Wer durchblickt und den integrierten Lichtschalter betätigt, ist ein „Aha-Moment“ sicher.

Ann-Christin Ladermann