Nach zwei Monaten kann Familie Helmich ihren Sohn wieder begrüßen

, Kreisdekanat Borken

Die vergangenen Monate seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland waren nicht einfach. Für viele Menschen ist durch die Lockerungen im Alltag inzwischen ein wenig Normalität eingekehrt. Doch lange nicht für alle. So wie für die Familie Helmich aus Gescher. Ihr elfjähriger Sohn Jonathan lebt seit Mitte Februar vergangenen Jahres in einer Wohngruppe der Stiftung Haus Hall in Gescher. „Unser Sohn hat das Down-Syndrom und eine massive Impulskontrollstörung“, berichtet Benedikt Helmich. Deshalb lebe er in der Wohngruppe, in der er sich sehr wohlfühle. Regelmäßig verbringt der Elfjährige die Wochenenden bei seinen beiden Geschwistern und seinen Eltern, die ebenfalls in Gescher leben.

Gemeinsame Unternehmungen sind jetzt für Familie Helmich mit ihrem Sohn Jonathan wieder möglich. Ständiger Begleiter ist dabei allerdings der Mundschutz.

Gemeinsame Unternehmungen sind jetzt für Familie Helmich mit ihrem Sohn Jonathan wieder möglich. Ständiger Begleiter ist dabei allerdings der Mundschutz.

© Familie Helmich

Doch damit war es Mitte März plötzlich vorbei. „Aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vor dem Covid-19-Virus gab es ein Betretungsverbot. Wenn wir ihn abgeholt hätten, hätte er bei uns bleiben müssen. Doch niemand konnte abschätzen, wie lange dies dauern würde. Eine Betreuung hätten wir nicht leisten können“, erzählt der 46-Jährige weiter. So war ein persönlicher Kontakt von jetzt auf gleich nicht mehr möglich. „Wir waren anfangs sehr beunruhigt, denn Jonathan ist sehr emotional. Aber wir haben ihm ein Handy gekauft und drei Mal wöchentlich feste Termine für ein Videogespräch vereinbart. Das hat richtig gut geklappt“, freut sich Helmich über die gelungene Notlösung. Auch die Mitarbeitenden in der Wohngruppe hätten die Situation sehr gut aufgefangen.

Doch sowohl Jonathan, seinen achtjährigen Geschwistern und den Eltern fiel die Trennung immer schwerer. Nach mehr als acht Wochen und ersten Lockerungen beispielsweise für Besuche in Seniorenheimen waren den Verantwortlichen in Haus Hall immer noch die Hände gebunden. „Eine Begegnung mit eineinhalb Metern Abstand oder durch eine Flexiglasscheibe wäre mit Jonathan nicht möglich gewesen. Er ist sehr körperbetont, kuscheln und umarmen sind für ihn oftmals seine einzigen Ausdrucksmöglichkeiten“, informiert Helmich und fügt hinzu: „Auch die Fachleute in der Einrichtung waren sich sicher, dass so ein Besuch für ihn eher eine nachteilige Wirkung habe.“

Dann endlich am Himmelfahrtstag war es soweit. Die Familie konnte den Sohn für einen Besuch nach Hause holen. „Wir haben alle Masken getragen. Jonathan hat eine robuste Gesundheit, doch in seiner Gruppe leben auch Kinder, deren Immunsystem durch ihre Behinderung geschwächt ist.“ Nun ist er wieder häufiger zuhause. Allerdings verzichtet die Familie auf Übernachtungen, auch aus Rücksichtnahme auf die Mitbewohner in der Gruppe. 

Es ärgert Helmich, dass es im Land NRW für viele Bereiche Verordnungen gegeben habe, die Einrichtungen der Behindertenhilfe seien jedoch vergessen worden. „Es gab so viel, was detailliert geregelt war. Auf die Einrichtungen wurde die Verantwortung in gesondertem Maß abgeschoben. Deshalb waren sie auch sehr vorsichtig“, merkt Helmich an. Die Situation sei für alle Handelnden Neuland gewesen, und es sei insgesamt klug gehandelt worden, hat er Verständnis. „Aber dass beim Hochfahren des Lebens ganze Gruppen lange nicht berücksichtig wurden, kann ich nicht verstehen“, bringt er es auf den Punkt.

Auch Sebastian Klöpper, Leiter der Abteilung „Kinder- und Jugendwohnen“ bei der Stiftung Haus Hall, sieht die behördlichen Vorgaben kritisch. „Die Öffnung der Besuchskontakte zum Muttertag hat uns vor eine große Herausforderung gestellt. Was Abstand für Menschen mit Einschränkungen bedeutet, die eine ganz andere Körperlichkeit leben, hat das zuständige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nicht beachtet“, sagt er. Die Richtlinien des Robert-Koch-Instituts und die Auflagen des Ministeriums seien nicht immer deckungsgleich gewesen. Die Einrichtungen der Eingliederungshilfe seien unzureichend berücksichtigt worden und hätten sich allein gelassen gefühlt, insbesondere bei der Frage der Kontaktgestaltung. „Alles, was wir an Inklusion in den vergangenen Jahren erreicht haben, ist in der Krise vernachlässig worden. Menschen mit Behinderung wurden generell als Risikogruppe eingestuft. Da ist wenig individuell geschaut worden“, bedauert der Sozialmanager.

Michaela Kiepe