Die allermeisten der Anruferinnen und Anrufer „brauchen einen Gesprächspartner, weil es ihnen in ihrer momentanen Lebenssituation nicht gut geht“, spricht Jutta Gladen aus Erfahrung. Die Gründe dafür seien sehr verschieden. „Häufig greifen Menschen wegen psychischer Probleme oder aus Einsamkeit zum Hörer.“ Manche möchten über Probleme in der Beziehung oder gesundheitliche Beschwerden sprechen. Aber auch Berufstätige, die über ihren Arbeitsstress, Eltern, die über ihre drogenabhängigen Kinder reden wollen, finden sich unter den Anrufenden.
Jutta Gladen, die sich seit 2015 in der Geschäftsstelle mit einer halben Stelle vor allem um die Ausbildung der Ehrenamtlichen und die Öffentlichkeitsarbeit kümmert, war vorher zwölf Jahre selbst als Ehrenamtliche am Telefon. „Ich habe während meiner Berufstätigkeit in Magdeburg eine Anzeige der Telefonseelsorge gesehen und mich gemeldet.“ Inzwischen wohnt sie in Hörstel und hat eine Zusatzausbildung zur Supervisorin gemacht – bei der Telefonseelsorge ist sie geblieben, allerdings als Hauptamtliche.
Was sie an diesem Angebot auch nach 25 Jahren beeindruckt, ist vor allem die Haltung der Ehrenamtlichen: „Egal, wer wann anruft, er oder sie darf sich angenommen fühlen, ihm oder ihr wird zugehört.“ Zuhören, eine Eigenschaft, die Jutta Gladen bei vielen im Alltag sehr vermisst: „Unsere Ehrenamtlichen bieten keine Ratschläge zur Problemlösung, aber sie haben Zeit.“ Eine große Geste, wie sie findet. Das ermögliche den Anrufenden, sich zu entlasten. „Darüber zu reden, die Situation ins Wort zu bringen, das kann für Klarheit sorgen“, weiß Jutta Gladen.
Manchen falle es leichter, ihre Gedanken aufzuschreiben, fügt Peter Pattmöller hinzu. Er ist für die Mailberatung zuständig. Auch wenn die Kontakte hier selbstverständlich ebenfalls anonym sind, so haben die Verantwortlichen der Telefonseelsorge aufgrund des Sprachgebrauchs und der Probleme doch den Eindruck, dass eher jüngere Hilfesuchende schreiben statt sprechen wollen.
Egal ob am Telefon oder per Mail, nichts lenkt ab von dem Problem der Ratsuchenden. „Uns kann kein Aussehen und keine Umgebung irritieren“, bringen es Jutta Gladen und Peter Pattmöller auf den Punkt.
75 Ehrenamtliche gehören zum Team der Telefonseelsorge in Münster, zehn von ihnen kommen aus dem Kreis Steinfurt. Gerne dürfen es mehr werden. Im kommenden März startet wieder ein neuer Ausbildungskursus. Inhaltlich lässt sich dieser grob in drei Schwerpunkte unterteilen: Selbsterfahrung, Gesprächsführung und Hospitation am Telefon. „Alle drei Module sind wichtig für den späteren Dienst“, weiß Jutta Gladen. Auch die Herausforderungen im eigenen Leben zu kennen, sei Voraussetzung. Wer am Telefon sitzt, ist mit dem Gehörten später nicht allein: „Eine Supervision ist für alle verpflichtend.“ Meist übernehmen die Ehrenamtlichen drei bis vier Dienste im Monat, die jeweils drei Stunden dauern.
Aus der Suizidprävention entstanden, kümmert sich die Telefonseelsorge heute um alle Sorgen und Nöte der Anrufenden. Suizidale Gedanken spielen immer noch eine Rolle, aber längst nicht ausschließlich. „Wer uns anruft, der will noch etwas vom Leben“, ist einer der Ehrenamtlichen überzeugt. Die Teammitglieder sind auch Ansprechpartner für Betroffene und Täter von (sexualisierter) Gewalt, die sich im Schutz der Anonymität oft zum ersten Mal überhaupt trauen, über das Erlebte oder Getane zu sprechen. Unter dem Leitsatz „Aus Worten können Wege werden“ versuchen die Ehrenamtlichen gemeinsam mit den Anrufenden Wege aus der Lebenskrise zu erarbeiten – unabhängig von der Religionszugehörigkeit.
Pro Jahr melden sich rund 13.000 Hilfesuchende bei der Telefonseelsorge Münster. Eine Zahl, die deutlich mache, wie wichtig das Angebot ist, findet Jutta Gladen.
Finanziert wird die Arbeit der Telefonseelsorge Münster zuallererst vom Bistum Münster sowie dem evangelischen Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken. Weitere finanzielle Mittel erhält die Telefonseelsorge von der Stadt Münster und aus den politischen Kreisen im Zuständigkeitsbereich.
Gudrun Niewöhner