Die Besucherinnen und Besucher des Telgter Friedensfestes staunten am Pfingstsonntagabend nicht schlecht, als – wie vor 375 Jahren – Ross und Reiter von der Ems kommend auf den Kirchplatz einbogen. In historischem Gewand hatte der Friedensreiter in Person von Tonius Hertleif eine Depesche im Gepäck, geschrieben von Pfarrerin Sabine Elbert, die er hoch zu Ross verlas. Der Westfälische Friede sei ein Meilenstein in der Geschichte. „Sucht auch heute nach Wegen, zumindest persönlichen Frieden zu finden. Seht darauf, wer oder was diesen Frieden stört. Lernt damit umzugehen. Versuchen wir über Gespräche einen Kompromiss zu finden. Werdet auch Ihr Friedensboten“, wandte er sich mit seiner Botschaft an die Menschen, die zum ökumenischen Friedensfest gekommen waren und bei Sonnenuntergang an den Tischen auf dem Platz zwischen der Clemenskirche und der Gnadenkapelle Platz genommen hatten.
Nachdem die katholische Propsteigemeinde St. Marien und die evangelische Kirchengemeinde in Telgte schon seit vielen Jahren den Pfingstmontag ökumenisch feiern, hatten sie aus Anlass des 375. Jahrestags des Westfälischen Friedens zur Premiere des Friedensfestes eingeladen. „Telgte liegt an der Friedensroute, auf der mittels Reiter damals die Botschaften zwischen den beiden Städten ausgetauscht wurden“, begründete Propst Dr. Michael Langenfeld auf der Bühne. Begonnen hatte der Abend mit einem Friedensgebet, bei dem Pastoralreferent und Wallfahrtsseelsorger Richard Schu-Schätter die Notwendigkeit der Friedensreiter in den zahlreichen Konfliktregionen in der heutigen Zeit betont hatte. „So unrealistisch es aktuell auch scheint, der Friede wird kommen. Das ist unsere christliche Hoffnung. Eine Hoffnung, die einen festen Grund hat. Denn Gott ist an der Seite der Machtlosen und Geschlagenen.“
"Das sind keine kleinen Menschen, sondern sie besitzen die gleiche Würde wie all die Mächtigen."
Beim anschließenden Bühnentalk mit Moderatorin Julia Geppert berichtete unter anderem Pfarrer Jochen Reidegeld von der Initiative „Hoffnungsschimmer“. Der Mitgründer der Aktion, die sich in Syrien und im Nordirak um Hilfe beim Wiederaufbau in den Bereichen Bildung, Subsistenzsicherung und Medizin sowie den Brückenschlag zwischen Glaubensgemeinschaften und deren Schutz bemüht, brachte dabei sein Unverständnis deutlich zum Ausdruck: „Es macht mich wütend, dass wenige Machthaber versuchen, ihre Geschichte zu schreiben, ihr Verständnis von Größe verwirklichen. Dabei kommen die sogenannten kleinen Menschen vor Ort unter die Räder. Aber das sind keine kleinen Menschen, sondern Menschen, die die gleiche Würde besitzen wie all die Mächtigen, die aber mit ihrer Not nicht gehört werden.“
2015 sei er das erste Mal ins Shingalgebirge gereist, aus dem hunderttausende Eziden vor dem IS geflohen sind. Die, die geblieben sind, leben seit 2014 unter sehr schwierigsten Umständen. „Ich habe das ungeheure Leid in den Flüchtlingslagern gesehen, in denen auch neun Jahre später noch immer Menschen in Zelten leben. Und ich sah die völlig verwüstete Stadt. Das war der Moment, in dem sich etwas in meinem Herzen bewegt hat. Denn diese Menschen brauchen eine Stimme“, betonte Reidegeld. Die wachsende Hoffnungslosigkeit vor Ort bereite ihm große Sorgen. Immer mehr internationale Hilfsorganisationen zögen sich zurück, weil die Spenden nachließen. Mit Blick auf Syrien, die Ukraine, den Irak und viele andere Konfliktregionen lautete sein Appell: „Die großen Mächte müssen aufhören, Stellvertreterkriege in anderen Regionen zu führen.“ Das gebe terroristischen Gruppen die Möglichkeit, Sicherheitslücken zu nutzen. Aufgabe der internationalen Politik sei es, die Interessen der Menschen vor Ort zu stärken und sie nicht zum Spielball werden zu lassen.
Den Dialog fördern
Einen Einblick in sein Heimatland, speziell in seine Heimatstadt Kerala in Südindien, in der verschiedene Religionen friedlich zusammenleben, gab Pater Ephrem Maniyamprayil, Mitglied des Seelsorgeteams in Telgte. Indien sei die größte existierende Demokratie der Welt, die sich auf den Grundsätzen der Gleichheit, Religionsfreiheit und des sozialen Zusammenhalts gründet. Pater Ephrem nannte den interreligiösen Dialog als ein wesentliches Element für den Frieden. „Indien ist ein Land mit einer Vielzahl von Religionen und Glaubensrichtungen: Es gilt, sich um gegenseitigen Respekt und Verständnis zu bemühen und den Dialog zwischen den verschiedenen religiösen Gemeinschaften zu fördern“, erklärte er. Ebenso wichtig seien Toleranz und Akzeptanz sowie Gerechtigkeit und Gleichheit. Doch die Situation habe sich in einzelnen Landesteilen verschärft. Immer wieder komme es inzwischen in Mittel- und Nordost-Indien zu religiösen Verfolgungen und Gewalt. „Ursache solcher Spannungen können politische Entwicklungen, neue Gesetze und soziale und wirtschaftliche Umbrüche sein“, verdeutlichte er. „Ich hoffe, dass der Hass und die Unruhen sich wieder beruhigen“, schloss Pater Ephrem.
Der Abend, der von der Telgter Friedensband unter der Leitung von Pastoralreferent David Krebes, von einem Projektchor unter der Leitung von Michael Schmitt-Prinz, von einer Tanzperformance und Textdarbietungen begleitet wurde, schloss mit dem Anschlagen einer Friedensglocke, die einst auf dem Kriegsschiff „Kreuzer Leipzig“ eingesetzt war. „Ein ‚Aus-dem-Krieg-mach-Frieden“-Zeichen“, so Pfarrerin Elbert über die Glocke, die seit 2016 in der evangelischen Petruskirche in Telgte einen Platz hat.
Achtung und Ansehen, Würde und Wert
Auch der Pfingstmontag stand ganz im Zeichen der Aufforderung „Friedensboten gesucht“. Den Auftakt machte traditionell der ökumenische Gottesdienst auf dem Kirchplatz, den die Chorsingschule St. Marien mitgestaltete. In seiner Predigt ging Propst Langenfeld den Gründen für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Völkern auf den Grund: „Es geht um Anerkennung und darum, jemand zu sein, möglichst größer und bedeutender als der oder die andere. Es geht um die Hoheit und Macht über Menschen, Länder, Rohstoffe und Wissen.“ Friedensbotinnen und -boten werde man nicht, indem man moralische Apelle in die Welt sendet. „Wir müssen Streitenden zu verstehen geben, wie wichtig, wertvoll und angesehen sie sind. Und zwar nicht, weil sie sich Ansehen brutal erkämpfen müssten, sondern weil sie bereits Achtung und Ansehen, Würde und Wert haben als Mensch, als Geschöpf und Ebenbild Gottes.“ Den christlichen Glauben bezeichnete Langefeld als „starke Friedensbotschaft“.
Nach einem Imbiss hatten die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, sich bei verschiedenen Workshops mit dem Frieden auseinanderzusetzen, darunter das Knüpfen eines Friedensnetzes und ein Info-Stand, bei dem ökumenische Hilfsprojekte wie der Kontaktpunkt, die Kleiderstube oder der Telgter Teiler vorgestellt wurden. Das Kerzenhaus wurde zu einem Gedenkort für Opfer von Krieg und Gewalt, wo Kerzen entzündet werden konnten, wo aber auch auf einer Landkarte über die Konflikte auf der Welt informierte.