Potenziale älterer Mitarbeiter als eine Antwort auf den Fachkräftemangel
"Ich bleib dann mal da! Ältere Mitarbeiter in Kirche und Caritas – na und ?!" Mit 150 Teilnehmern komplett ausgebucht war die elfte gemeinsame Fachtagung für Mitarbeitervertretungen und Dienstgeber im Bistum Münster, die am Donnerstag, 30. Oktober 2014 in der Heimvolkshochschule Gottfried Könzgen in Haltern am See stattgefunden hat.
Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter aus Pfarrgemeinden, Kindergärten, Krankenhäusern und anderen katholischen Einrichtungen im ganzen Bistum Münster nahmen teil und erhielten inhaltliche Impulse aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln.
Den grundlegenden Vortrag zum Einstieg hielt Dr. Sonja Ehret vom Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg. Unter dem Titel "Der demografische Wandel - eine Herausforderung für die Arbeitswelt " stellt sie unter anderem die "Potenziale älterer Arbeitnehmer" heraus: Langjährig erfahrene Mitarbeiter hätten mehr Überblick, gingen leichter mit komplexen Vorgängen um, seien gelassener und toleranter, erreichten Ziele mit weniger Aufwand und träfen Entscheidungen mit nüchternem Realismus und ausgeprägtem Sinn für das Machbare. Dies kompensiere manches Nachlassen körperlicher oder geistiger Leistungsfähigkeiten. Der Erfahrungsschatz sei einer ihrer größten Vorteile; viele der Älteren wüssten um ihre Expertise und stellten diese gerne anderen zur Verfügung. Bei Älteren sei Kreativität "harmonischer und runder". Ehret verwies darauf, dass herausragende kreative Höchstleistungen von Menschen wie Marc Chagall oder Immanuel Kant, Albert Einstein oder Johann Sebastian Bach, Charles Darwin oder Johannes Kepler erst in vergleichsweise hohem Alter erbracht worden seien. Durch ständige Weiterbildung könne ein Veralten von Kenntnissen und Fertigkeiten vermieden, durch ergonomische und organisatorische Maßnahmen könne der Verbleib Älterer im Arbeitsleben erleichtert werden. Es müsse darum gehen, Aufgaben so zwischen Jung und Alt aufzuteilen, dass alle entsprechend ihrer Fertigkeiten und Belastbarkeiten eingesetzt seien.
Über "Alters- und berufsbedingte psychische und physische Krankheitsbilder" sprach Dr. Claus Jacobi, Ärztlicher Direktor der Paracelsus-Roswitha-Klinik in Bad Gandersheim. Er stellte dar, alterungsbedingte körperliche Leistungsabnahmen begännen bereits sehr früh, die Hörleistung etwa nehme bereits ab dem vierten Lebensjahr ab. Im Gegenzug sei auch die Unfallhäufigkeit mit zunehmender Lebenserfahrung rückläufig. Mit wachsendem Alter kämen in den Industrienationen allerdings typischerweise Krankheiten hinzu, die von Bewegungsmangel und Übergewicht ausgelöst seien. Diese klassischen Risikofaktoren würden durch Arbeitsstress verstärkt. Dies treffe Beschäftigte, die etwa durch anhaltend überhöhten Zeitdruck, anhaltend hohe Verausgabung, mangelnde Freiräume bei der Arbeit, Mangel an Respekt, Anerkennung und Fairness belastet seien. Arbeitsstress steigere das Risiko für Herzinfarkte um 40 Prozent und für Depressionen um 80 Prozent. Eine "psychosomatische Abwärtsspirale" mit Arbeitsüberforderung, Stress-Symptomen, Erschöpfung, daraus resultierend Leistungsminderung, Zynismus, Burnout mit Folgeerkrankungen betreffe inzwischen jeden dritten Beschäftigten, davon zwei Drittel noch unbehandelt. Immer mehr Arbeitnehmer kämen deshalb¬ in Reha¬maßnahmen oder erhielten Erwerbsminderungsrenten. Der Mediziner konstatierte ein Missverhältnis zwischen den menschlichen Möglichkeiten und den Anforderungen durch die veränderte Arbeitswelt. Er appellierte an die Dienstgeber, jene Arbeitsbedingungen zu ändern, die die Hälfte der Gesundheitsprobleme auslösten. Den Beschäftigten riet der Arzt, Widerstandsfähigkeit aufzubauen. Dazu gehöre, im Kollegenkreis Anschluss zu suchen, Krisen nicht für unüberwindlich zu halten, Veränderungen zu akzeptieren, zielorientiert und entscheidungsfähig zu werden, ein positives Selbstbild zu pflegen und die Perspektive zu wechseln. Jacobi betonte, das Gehirn altere nicht, wenn man sich in gutem Trainingszustand halte, gesund ernähre und aktiv lebe.
Das "Betriebliche Eingliederungsmanagement" (BEM) beim St. Marien-Hospital Borken präsentierte Hans Krautwurst-Rusch, Vorsitzender der Mitarbeitervertretung des Krankenhauses. Neben Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung sei das BEM der schwierigste Teil des Gesundheitsmanagements. Dem heutigen verlässlichen und strukturierten Ablauf sei ein langer und intensiver Prozesses vorausgegangen. 2009 habe man eine Dienstvereinbarung abgeschlossen, 2013 einen BEM-Beauftragten und eines BEM-Teams ernannt. Das komplette Verfahren liege in Händen der MAV, die es als lernendes System begreife. Inzwischen begreife die Belegschaft das BEM als Chance auf, kompetent Hilfe für den Wiedereinstieg nach längerer Krankschreibung zu erhalten.
Über das Projekt "Altersgerechte Arbeitsplätze in Kitas" der Technologieberatungsstelle (TBS) Düsseldorf sprach Urs Peter Ruf. Ziel sei eine Förderung der Beschäftigungsfähigkeit für einen langen Verbleib im Beruf und für eine altersgerechte Ausgestaltung des Arbeitsfeldes. Die TBS biete dafür keine vorgefertigten Lösungen, sondern entwickele mit interessierten Einrichtungen nach Analyse der jeweiligen Rahmenbedingungen erfolgversprechende Veränderungen.
Frank Großheimann von der Betriebskrankenkasse der Diakonie Bielefeld referierte zum Thema "Gesundes Arbeiten in sozialen Berufen". Er stellte dar, dass die meisten Krankheitstage bei Krankenpflegehelfern, Sozialarbeitern sowie Krankenschwestern und –pflegern anfielen. Die längsten Krankschreibungen gebe es wegen Muskel- und Skeletterkrankungen. Den größten Zuwachs hätten Krankheitstage wegen Burn-out-Syndroms; überdurchschnittlich viele Arbeitsunfähigkeitstage hätten psychische Ursachen. Zur Erklärung gab Großheimann den Hinweis, dass Beschäftigte von Caritas und Diakonie oft wertebasierte Menschen seien, die Probleme mit sich wandelndem Arbeitskontext hätten. Sie haderten etwa mit sich, wenn sie keine Zeit für Patienten hätten. Dienstgeber wie Arbeitnehmer müssten daran arbeiten, die Arbeitsbedingungen strategisch zu optimieren, Strukturen für gesundes Arbeiten zu entwickeln und dabei auf die psychische Gesundheit zu achten. Wichtig sei es, die Gesundheitskompetenz bei den Mitarbeitern systematisch zu fördern. Krankenkassen wie die BKK der Diakonie könnten Einrichtungen begleiten, Gesundheitszirkel moderieren, Gesundheitsworkshops anbieten oder sich an betrieblichen Gesundheitstagen beteiligen.
Den abschließenden Vortrag hielt Christian Ahlers von der Deutschen Rentenversicherung Westfalen in Münster über "Betriebliches Demografiemanagement". Dieses solle negative Wirkungen abmildern und positive Potenziale nutzen. Konkret müsse die Mitarbeiterbindung gefördert, Fluktuation vermieden und die Beschäftigungsfähigkeit erhalten werden. Im Bereich Prävention seien die Dienstgeber gefragt, die Verhältnisse anzupassen, und die Mitarbeiter ihr Verhalten. Dazu gebe es gesetzliche Vorgaben. Ansatzpunkte für betriebliches Gesundheitsmanagement seien das Gesundheitsverhalten, die familiäre und Lebenssituation im Kontext einer Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sowie die Arbeitsbedingungen. Der "Betriebsservice Gesunde Arbeit" der Deutschen Rentenversicherung unterstütze Einrichtungen in solchen Fragen kostenlos.
Text: Bischöfliche Pressestelle
Kontakt: pressestelle[at]bistum-muenster.de