Prälat Peter Kossen wettert gegen Ausbeutung von Arbeitnehmern
„In unserer Gesellschaft ist etwas aus dem Ruder gelaufen", legte Prälat Kossen heute als Hauptredner beim Mai-Empfang des DGB im Hotel Schlömer den Finger in die Wunde.
Vor einigen Dutzend Gewerkschaftern aus Cloppenburg und Vechta prangerte er in offener Art Niedriglöhne, die Ausbeutung von Werkvertragsarbeitern und kriminelles Subunternehmertum in der Fleischindustrie an. Unter den Zuhörern waren auch der Friesoyther Bürgermeister Johann Wimberg, der Cloppenburger SPD-Bürgermeisterkandidat Stephan Riesenbeck und die Bundestagsabgeordnete Gabriele Groneberg. Die Kirche dürfe bei diesen Missständen nicht tatenlos zusehen, sondern müsse sich einmischen, forderte Kossen in seiner Rede, die mehrfach vom Beifall der Anwesenden unterbrochen wurde.
Deutschland sei das europäische Land mit dem größten Niedriglohnsektor, so Kossen. Prekäre Beschäftigung sei hier inzwischen zum Massenphänomen geworden. Als Hauptbeispiel nannte er die Werkverträge in der Fleischindustrie, die vielfach unsäglichen hygienischen Wohnbedingungen und Wuchermieten und die unwürdige Behandlung der meist osteuropäischen Arbeiter durch kriminelle Subunternehmen. Glücklicherweise gebe es aber auch Unternehmen, die ihre Arbeiter vernünftig bezahlen und unterbringen würden.
Subunternehmer seien eigentlich nicht mehr nötig, denn seit dem 1. Januar könnten Rumänen und Bulgaren auf dem deutschen Arbeitsmarkt direkt angestellt werden, erklärte der Prälat. Fleischfirmen zahlten Subunternehmern sogar bis zu 13 Euro pro Stunde Werkvertragsarbeit. Doch dieses Geld komme bei den Menschen nicht an sondern werde zum großen Teil vorher abgeschöpft. Der ab Juli geltende Mindestlohn von 7,75 Euro in der Fleischbranche, der bis Dezember 2016 stufenweise auf 8,75 Euro angehoben werden soll, ändere daran erstmal nichts. Und auch mit 8,75 Euro in der Stunde stecke man noch mitten in prekären Arbeitsverhältnissen und könne eine Familie nicht davon ernähren, machte Kossen deutlich. Das System in der Fleischindustrie sei „moderne Sklaverei" und verdränge zunehmend Stammbelegschaften. Dieses System, das leider auch in anderen Branchen vorkomme, fresse sich wie „Krebsgeschwür quer durch unsere Volkswirtschaft". Die Kirche habe hier eine besondere Pflicht einzugreifen. „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!" zitierte er den französischen Bischof Jacque Gaillot. Um dieses System einzugrenzen, müssten Werkverträge eingeschränkt und gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden. Alle Arbeiter müssten in deutsche Sozialkassen einzahlen, die Migranten bezahlbare menschenwürdige Unterkünfte bekommen und der Sumpf krimineller Subunternehmer ausgetrocknet werden, so Kossens Resümee.
„Die Pflicht zur Solidarität richtet sich nicht nur auf den Personenkreis, der mir am nächsten steht, sondern auf alle Menschen", mahnte der streitbare Prälat aus Vechta. Solidarität sei viel mehr als Mildtätigkeit. Sie sei kein Almosen. „Solidarität stellt den Menschen in Not nicht ruhig, sondern macht ihn stark, gegen Ungerechtigkeit aufzubegehren." Als Pastor am Niederrhein habe er oft gehört, was früher die Unternehmer den Pastören gesagt hätten: „Holt Ji se man dumm, wi holt se bi d´ Arbeit." – „Dafür stehe ich nicht zur Verfügung! Und ich hoffe, Sie auch nicht!"
„Sie haben uns aus dem Herzen gesprochen", bedankte sich Frerich Rüst, DGB-Sekretär aus Oldenburg, bei Kossen. „Es wäre gut, wenn Sie diese Rede mal im Bundestag halten könnten." Die Soziallehre der Kirche decke sich mit vielen Forderungen der Gewerkschaft, musste er feststellen. Das Publikum hatte viele Fragen an den Prälaten, darunter auch kritische, warum die Kirche und ihre Verbände hier so wenig politischen Druck machten. „Von Ihnen, Herr Prälat, müsste es mehr Leute in der Kirche geben", sagte ein Betriebsratsmitglied unter Applaus der Zuhörer. „Machen Sie weiter so", forderte auch Rüst ihn auf.
Text/Foto: Ludger Heuer, Offizialat Vechta
Kontakt: Ludger.Heuer[at]bmo-vechta.de