Im Altarraum war zudem aus vielen alten, mit Gebrauchsspuren und Schriftzeichen versehenen und mit Schutt und Asche gefüllten Jutesäcken sichtbar. Verdorrte Sonnenblumen verwiesen darauf, dass es ohne ihr Eingehen in die Erde kein neu aufblühendes Leben gäbe. Der Inhalt der Jutesäcke stand symbolisch für die Zerstörung der Häuser und der Heimat in der Pogromnacht 1938: „Der 9. November ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand setzten. Es ist der Tag, an dem Tausende Jüdinnen und Juden verhaftet, misshandelt oder getötet wurden“, erklärte die Schulsozialarbeiterin Anja Möllers. Unbeschriftete Schiefertafeln sollten an die Menschen erinnern, die Heimat, Hab und Gut sowie Leben verloren haben, betonte die Initiatorin der Ausstellung Klaudia Dederichs. Die Schulseelsorgerin hatte Schülerinnen und Schüler der Liebfrauenschule dazu angeregt, sich intensiv mit den Biografien von Menschen jüdischen Glaubens aus der näheren Umgebung auseinanderzusetzen. Sie schufen überdimensional große Bilder mit Szenen aus dem Leben dieser Menschen und deren Emotionen. Die Zeichnungen halten das Eintreffen von KZ-Transporten fest und das persönliche Erleben von Folter. Die Bilder drücken Schmerz und Trauer aus. Die Gesichter der vielen Ermordeten aus Coesfeld und Billerbeck sind so gezeichnet, als hätten die Schülerinnen und Schüler etwas vom Seelenleben der unschuldigen Opfer des Nazi-Terrors erkannt.
Die jüdische Künstlerin Era Freidzon und die kunstbegeisterte Schulseelsorgerin hatten den Workshop „Malen gegen das Vergessen“ im vergangenen Jahr in der Liebfrauenschule bildungsgangübergreifend angeboten. Dederichs wollte mit der Projektidee Unaussprechliches zum Ausdruck bringen, zum Nachdenken anregen und die Erinnerung wachhalten. „Die Bilder müssen berühren, unterbrechen, deswegen wurden sie ausschließlich nur mit flüchtigen Materialien wie Kohle und Asche gemalt. Zitate aus der Dichtung, die die Schrecken des Holocaust deutlich machen, sind in das Bild eingefügt, um dem Geschehen auch nur annähernd Ausdruck zu verleihen“, erläuterte sie. Mit ihren Bildern wollten die Schülerinnen und Schüler den Ermordeten etwas von ihrer Menschenwürde zurückgeben und sie der Anonymität entreißen.
In der knapp zweistündigen Veranstaltung wurden biographische Daten zu den Ermordeten und den wenigen Überlebenden verlesen. Die Schülerinnen und Schüler trugen mit Zitaten aus Literatur, Lyrik, Kunst, Politik, Philosophie anspruchsvolle und dichte Texte zu ihren Bildern vor. Als musikalische Unterbrechungen kamen Klezmermusik mit Frauke Geisweid-Kröger und Wolfgang Bargel, „Der Graben“, „Der Leiermann“ und „An mein Kind“ mit Doreen Wittig und Christian Laing, die Filmmusik zu „Schindlers Liste“, „Eli, Eli“ und „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ mit Pater Ralph Greis und Franz Josef Hegge zu Gehör. Pfarrerin Birgit Henke-Ostermann beschloss die Veranstaltung mit dem Gebet „Ich suche allerlanden eine Stadt.“ Beim Herausgehen äußerte eine Besucherin: „Die Veranstaltung klingt noch nach. Sie war einfach großartig, mit einem hohen Niveau, echt, intellektuell, künstlerisch und sprachlich sehr anspruchsvoll, warmherzig und sehr ästhetisch.“
Die Schülerinnen und Schüler werden den Abend am 9. November nicht vergessen und sich nachhaltig weiterhin in Form einer Mahnwache für dieses Thema engagieren. Ihre Ausstellung ist eine Hommage an all die Menschen jüdischen Glaubens sein, die auf so grausame Weise ums Leben gekommen sind, und eine Mahnung, dass sich so etwas bei uns nie wiederholt. „Junge Menschen sind unsere Adressaten. Sie sind die Zukunft des Landes, um es besser zu machen“, ist die Schulseelsorgerin überzeugt.
Noch bis zum 16. November ist die Ausstellung in der evangelischen Kirche zu sehen. Anschließend wird sie in der Jakobi-Kirche gezeigt.
Text: Liebfrauenschule/Fotos: Michaela Kiepe