Bischof Genn: „Veränderungen notwendig, auch um Missbrauch zu verhindern“

Die vierte Synodalversammlung im Rahmen des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland hat vom 8. bis 10. September in Frankfurt stattgefunden. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Bistum Münster haben am 10. Februar Bilanz gezogen.

Bischof Dr. Felix Genn sagte unmittelbar nach dem Ende der Versammlung, dass diese gezeigt habe, „dass wir weiter in der Schule der Synodalität sind: Und die Reifeprüfung haben wir noch nicht bestanden.“ Die Synodalversammlung habe deutlich gemacht, dass zu Synodaliät auch Konflikte und Auseinandersetzungen und sogar Scheitern dazu gehörten. Der erste Tag der Versammlung, an dem die Zustimmung zum Grundlagentext „Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“ an der notwendigen 2/3 Mehrheit der Bischöfe gescheitert war, sei „ein gewisser Paukenschlag“ gewesen. „Aber eine Zustimmung von 61 Prozent der Bischöfe ist ja auch nicht Nichts“, sagte Bischof Genn, der die Tage in Frankfurt, insbesondere da er zum erweiterten Synodalpräsidium gehört, als sehr intensiv und anstrengend erlebt hat.

Er unterstrich weiter die Wichtigkeit von Veränderungen in der Kirche: „Es ist notwendig, dass aufgrund des Missbrauch-Skandals in großer Ernsthaftigkeit überlegt wird, was in der Kirche verändert werden muss, damit solche Taten auf jeden Fall minimalisiert, am besten ganz verhindert werden. Dazu gehören auch Transparenz, Partizipation, ein viel stärkerer synodaler Geist, der sich auch in konkreten Strukturen und Formen auswirkt.“, sagte der Bischof. Für ihn wäre am Ende des Synodalen Wegs „schon viel gewonnen, wenn wir sagen könnten: Wir haben hier eine großartige Schule des synodalen Miteinanders erlebt, die uns dazu ermutigt, weiter Synodalität zu pflegen und zu üben, einen Stil zu finden, der Bischöfe, Kleriker und Laien zusammenführt, durch dieses Miteinander der Botschaft des Evangeliums eine neue Strahl- und Anziehungskraft zu geben.“ 

Auch Brigitte Lehmann, Vorsitzende des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster, verwies auf die Notwendigkeit, sich immer wieder zu vergewissern, dass der Synodale Weg aus der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals entstanden sei. „In der MHG-Studie werden die Strukturen mitverantwortlich für die Missbrauchstaten gemacht. Deswegen müssen sich diese verändern, und zwar in den durch die Foren benannten Bereichen“, erklärte sie. Am Ende des Synodalen Wegs wären für sie drei Ergebnisse zentral: „Gewaltenteilung auf allen Ebenen unserer Kirche, Bereitschaft zur gemeinsamen Veränderung von Strukturen und Gesprächsbereitschaft auf Augenhöhe.“ Nach ihrer Ansicht habe die Tatsache, dass der Grundlagentext „Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“ am ersten Tag der Versammlung abgelehnt wurde, dazu geführt, „dass wir noch ehrlicher miteinander umgegangen sind und uns zugehört haben.“ Zwar gehe ihr manches nicht weit genug, „aber ich sehe bei den allermeisten den ernsten Willen, gemeinsam etwas zu verändern“, betonte sie. Letztlich seien noch sehr wichtige Texte verabschiedet worden, so dass sie zufrieden und zuversichtlich abgereist sei.

Prof. Dr. Thomas Söding aus Münster, Vizepräsident des Synodalen Weges und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, erklärte, dass der Synodale Weg in Frankfurt am Abgrund gestanden habe. „Aber er hat eine Brücke über diesen Abgrund gebaut. Die Bischöfe haben sich bewegt. Die anderen Delegierten haben ihre Hand ausgestreckt. Das ist ein Durchbruch: Katholisch und synodal gehört zusammen. Es passt auch zusammen, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch“, lautete sein Fazit der Versammlung. Für Söding gibt es eine Glaubenskrise, die sich in der Strukturkrise der katholische Kirche zeigt. „Der systemische Missbrauch hat es an den Tag gebracht. Es muss mehr miteinander gesprochen und gehandelt werden. Das setzt gemeinsames Beraten und Entscheiden voraus. Die katholische Kirche kann das. Sie muss es auch machen. Das Bistum Münster eignet sich vorzüglich, um Synodalität verbindlich zu machen“, betonte er. Im Blick auf mögliche Ziele des Synodalen Wegs unterstrich dessen Vizepräsident, dass die Kirche „immer ‚heute‘ ist.“ Thomas Söding: „Die Kirche darf nicht lehren, ohne zu lernen. Die Bischöfe dürfen nicht in einer Blase leben. Eine Synode ist die beste Form, frische Luft zum Atmen zu bekommen und den Geist Gottes wehen zu lassen.“ Er machte deutlich, dass der Synodale Weg weiter gehe. Dafür brauche es gute Papiere als Basis. „Aber Synode sind nicht Papiertiger. Es braucht den gelebten, den geteilten, den verantworteten Glauben“, sagte Söding.

Johanna Müller aus Harsewinkel-Marienfeld, jüngste Synodale, sprach davon, dass es „unsäglich ist, wie die Debatte zum Grundtext ‚Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik‘ verlaufen ist und welches Ergebnis dann am Ende stand.“ Dankbar zeigte sie sich für die Annahme der Handlungstexte zu geschlechtlicher Vielfalt und der Neubewertung von Homosexualität, „aber umso weniger kann ich es verstehen, warum der Grundtext zu diesem Thema gescheitert ist“, sagte sie. Die zahlreichen Studien zum Missbrauch hätten nachweislich gezeigt, „dass wir in der katholischen Kirche ein großes Machtproblem haben. Wir haben toxische Strukturen sowie eine rigide Sexualmoral, die sexuellen Missbrauch begünstigen.“ Diese Strukturen müssten aufgebrochen werden. Zudem brauche es eine Veränderung hin zur Gleichberechtigung aller Menschen zum Schutz der Menschenwürde. Als ein zentrales und konkretes Ergebnis am Ende des Synodalen Weges wünsche sie sich, die Synodalität auf Dauer zu stellen, um weiter gemeinsam zu beraten und zu entscheiden. „Deshalb bin ich dankbar, dass wir einen synodalen Rat, einen synodalen Ausschuss beschlossen haben“, sagt sie. Allerdings sei es wichtig, dass das auch wirklich umgesetzt werde. Das gelte für alle Beschlüsse. „Nur so hat es auch auf Dauer eine Wirkung, und nur dann ist der synodale Weg nicht gescheitert“, lautet ihr Fazit.

Dr. Dorothea Sattler, Theologie-Professorin in Münster und Co-Vorsitzende des Synodalforums „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“, betonte, dass sie nach drei Tagen mit jeweils sehr unterschiedlichen Ereignissen, Stimmungen und Ergebnissen mit „Dankbarkeit und Erleichterung“ zurückblicke: „Als eine der Vorsitzenden des Forums III ‚ Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche‘ freue ich mich sehr, dass unser Grundtext die erforderlichen Mehrheiten erhalten hat. Auch viele Bischöfe sehen hinreichende theologische Argumente, das Thema ‚Ordination der Frau‘ in die weltkirchlichen Gespräche einzubringen. Ich erfahre darin eine große Ermutigung“, sagte Sattler. Sehr wichtig sei zudem gewesen, dass viele Handlungstexte Mehrheiten gefunden hätten, „die sich gegen jede Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierungen ausgesprochen haben“. Im Blick auf die vielen Themen, die noch anstehen, sei von hoher Bedeutung, „dass die synodale Bewegung durch einen Beschluss nun auf Dauer gestellt ist“. Nach Auffassung der Professorin ist derzeit eine Veränderung der römisch-katholischen Kirche erkennbar: „Wir werden weltweit eine ‚Synodale Kirche‘. Dies wünscht sich ja auch Papst Franziskus“, erklärte Sattler. Was das genau bedeute, sei noch offen, sie habe aber in Frankfurt „eine lernende Gemeinschaft erlebt – geistlich miteinander verbunden“. Zwei wichtige Wünsche an den Synodalen Weg sieht die Professorin als schon erfüllt an: „Eine grundlegende Zustimmung zu einer Synodalen Kirche auch in Deutschland und eine hohe Aufmerksamkeit auf die Charismen von Frauen in der römisch-katholischen Kirche.“ Besonders am Herzen liege ihr noch mehr Aufmerksamkeit auf die ökumenische Bedeutung des Synodalen Wegs.

Dr. Klaus Winterkamp, Generalvikar des Bistums Münster, zog ein gemischtes Fazit der Versammlung: „Insgesamt halte ich die Ergebnisse, Beschlüsse und Beratungen für weiterführend. Doch ob sich im Hinblick auf Haltungen, Einstellungen und Verhaltensmuster bei allen Beteiligten tatsächlich etwas geändert hat und möglicherweise Lernfähigkeit entwickelt, ist für mich eine Frage.“ Synodalität bleibe ein Lernprozess, der wie es Papst Franziskus sagt, ein „unabgeschlossenes Denken“ erfordere. „Dem stehen festgefahrene, systemisch funktionalisierte und formalisierte Denkmuster und Verhaltensweisen im Weg.“ Die Kirche, so unterstrich der Generalvikar, habe nicht einfach nur eine Glaubwürdigkeitsproblematik. „Wir haben inzwischen eine Legitimationsproblematik“, sagte Winterkamp. „Warum soll, muss oder braucht es eine Kirche in einer Gesellschaft, die immer säkularisierter, pluralistischer und weltanschaulich neutraler wird?“, fragte er. Veränderung müsse in Richtung Glaubwürdigkeit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz gehen.

Aus Sicht des Generalvikars wäre es wünschenswert, wenn als Ergebnis des Synodalen Wegs ein Synodaler Rat etabliert werden könne. Verbunden damit müsse eine Reform einhergehen, teilweise auch Abschaffung der festgefahrenen Strukturen der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. „Auch wäre endlich eine Straf- und Verwaltungsgerichtsbarkeit zu wünschen“, sagte Winterkamp. Zudem müsse es seitens des Synodalen Wegs „unmissverständliche Anträge an römische und weltkirchliche Instanzen insbesondere hinsichtlich der Sexualmoral und der Ämterfragen“ geben. Schließlich sei zu wünschen, dass alle Beteiligten „zumindest einen Anflug von Synodalität gelernt hätten, deren Form, Struktur, Gehalt und Inhalt auch bei denen noch in den Kinderschuhen stecken, die der Meinung sind, sie bereits zu leben.“

Auch Schwester Katharina Kluitmann, Lüdinghauser Franziskanerin, unterstrich die Notwendigkeit von Veränderungen, „weil die Fülle der Missbrauchsfälle und der Umgang mit ihnen nach Erneuerung der Kirche nicht nur rufen, sondern schreien.“ Und sie betonte: „Die Veränderung muss vor allem in Richtung eines anderen Umgangs mit Macht gehen. Das schließt vor allem das Priesterbild und die Sexualmoral ein. Ohne eine Veränderung der Rolle von Frauen in der Kirche haben wir keine Zukunft, die wir verantworten können.“ Für Schwester Katharina muss die Kirche endlich dem Evangelium wieder ähnlicher werden „und damit diesem Jesus, der Menschen hereinholte statt sie auszuschließen; diesem Jesus, der Barmherzigkeit lebte, indem er wunde Punkte ansprach, aber nicht darin bohrte; diesem Jesus, der Leben über Regeln setzte.“ Synodalität müsse „eine gelebte Realität der Kirche werden“. Schwester Katharina: „Ich hoffe auf sichtbare Schritte auf dem Weg der Gleichberechtigung der Frauen auch in der Kirche, weil wir so die verfügbaren Charismen verdoppeln.“

Text: Dr. Stephan Kronenburg/Foto: Synodaler Weg/Maximilian von Lachner