Jutta Mußmann stellt die Situation nicht in Frage. Für sie ist ihr Einsatz alternativlos. „Meine Kinder und Enkelkinder möchte ich damit nicht belasten – sie sollen ihr eigenes Leben führen können.“ Ihr Mann genießt zudem den alltäglichen Rhythmus in eigenen Haus und ihre Nähe. Auch wenn das eine enorme Belastung für die 73-Jährige bedeutet: Mehrmals am Tag Medikamente geben, Spritzen setzen, beim Essen und der Hygiene unterstützen, rund um die Uhr ansprechbar sein, Absprachen mit Apotheken und Ärzten treffen, bürokratische Herausforderungen bewältigen… Dazu kommen die Stimmungsschwankungen ihres Mannes. „Mal so, mal so.“
Wieviel Energie sie das kostet, ist ihr nicht anzumerken, als sie Britta Schlüter die Tür öffnet. Die Begrüßung ist herzlich und lebhaft. Die Mitarbeiterin der Caritas-Sozialstation in Lüdinghausen kommt zum turnusmäßigen Besuch. Alle drei Monate steht sie den Mußmanns als Pflegeberaterin zur Seite. Ihr offizieller Grundauftrag: Schauen, ob in der aktuellen Situation die fachgerechte Pflege gewährleistet ist. „Es geht mir aber nicht allein um Fakten, Zahlen und Daten“, sagt sie. „Es geht hier um Menschen.“
Das ist vom ersten Augenblick an zu spüren. Ihr Weg geht direkt ins Wohnzimmer zum Krankenbett des Pflegepatienten. Eine kurze Begrüßung, ein kurzer Plausch. Danach setzen sich die beiden Frauen an den Tisch im benachbarten Esszimmer. Kaffee und Gebäck stehen dort. Schlüter schaltet ihr Tablet ein, um die notwendigen Formulare auszufüllen. Ihre Fragen dazu stellt sie aber noch lange nicht. Die derzeitige Infektion des Mannes, die Ängste seiner Frau, die Sehnsucht nach etwas Normalität im Alltag – all das hat Vorrang. Dabei dürfen auch mal Tränen fließen.
Seit einem Jahr ist Schlüter für die Mußmanns zuständig. Die Situation am Esstisch hat mittlerweile etwas Vertrautes. „Das ist von Beginn an nicht immer so“, sagt die Pflegefachkraft. „Oft glauben die Betroffenen, dass ein offizieller Besuch des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen ansteht, um den Pflegegrad zu überprüfen.“ Etwas Überzeugungsarbeit sei dann notwendig. „Wir vermitteln ihnen, dass wir wohlwollend kommen.“ Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der Caritas, so Schlüter. „Unser Zeichen auf dem Auto öffnet uns hier vor allem auf den Land und bei den älteren Menschen noch Türen – das verbinden viele mit positiven Erfahrungen.“
Die hat auch Jutta Mußmann machen können. „Im Alltag habe ich nicht die Möglichkeit, mich zu informieren, welche Hilfen ich noch bekommen und welche Unterstützung ich wahrnehmen kann.“ Schlüter ist da voll im Thema. „Es gibt so viele Töpfe, von denen die meisten meiner Klienten nichts wissen“, sagt sie. „Schulungen, Alltagsunterstützungen, Übernahme von einzelnen Pflegeleistungen und -zeiten, technische Hilfen…“
Dazu gehören auch Möglichkeiten, freie Zeiten für den Pflegenden zu organisieren – wichtige Auszeiten, um abzuschalten, die eigene Situation zu reflektieren und Kraft zu tanken. Das hat Jutta Mußmann jetzt schon mehr als zehn Jahre nicht mehr gemacht. „Ich war vor einigen Tagen das erste Mal wieder in einem großen Kaufhaus“, erzählt sie. „Da habe ich gestaunt, was es da heute so alles zu kaufen gibt.“ Es war ein Moment, in dem ihr die eigene Situation einmal bewusst wurde. Jetzt, bei der Erinnerung daran, fließen ein paar Tränen.
Britta Schlüter kann von den Besuchen bei ihren Klienten in Lüdinghausen und dem Umland die emotionale Belastung der häuslichen Pflege gut einschätzen. Jutta Mußmann hat sie auf die Möglichkeit einer Kur aufmerksam gemacht. Die steht in einigen Tagen an. Vier Wochen in Winterberg, ihr Mann kommt in dieser Zeit in die Kurzzeitpflege. „An eine solche Auszeit habe ich schon seit Jahren keinen Gedanken mehr verloren.“
Am Kaffeetisch ist mittlerweile schon etwas Zeit vergangen, da stellt Britta Schlüter jene Fragen, deren Antworten sie der Krankenkasse übermitteln wird: Wie ist die Pflege derzeit organisiert? Wer ist dabei im Einsatz? Werden die zentralen Leistungen erbracht? „Wenn die Kassen die Informationen nicht termingerecht bekommen, droht in kürzester Zeit eine Reduzierung des Pflegegeldes“, sagt Britta Schlüter. Das sind bei den Mußmanns 765,00 Euro im Monat. Längst nicht ausreichend, aber ein wichtiger Baustein beim Meistern ihrer Situation.
Genauso wichtig wie die vielen kleinen Tipps, die Britta Schlüter den Mußmanns für die nächste Zeit gibt. Wie den zu den Medikamenten, die sie im Vorfeld der Kurzzeitpflege noch organisieren muss: „Denken Sie daran, dass die Hausärzte am Mittwochnachmittag geschlossen haben, damit es zeitlich nicht zu eng wird.“ Als die Pflegeberaterin etwas später das Haus verlässt, hat sie auf ihrem Tablet eingetragen, dass „die Pflegesituation weiterhin gewährleistet“ ist. Nicht weniger wichtig ist das, was sie nicht aufschreibt, sagt sie: „Die Mußmanns haben wieder einige Möglichkeiten gefunden, ihre Lebenssituation neu zu gestalten.“
Weitere Informationen finden Sie hier:
Caritasverband für den Kreis Coesfeld
Caritasverband für die Diözese Münster
Text: Caritasverband für die Diözese Münster
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich – die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto „Not sehen und handeln“ sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM – Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen, 27 Pflegeschulen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.