Marianne Krämer (Name geändert) sitzt am Schreibtisch. Alles sieht aus wie in einem normalen Büro. Vor ihr steht ein Monitor, auf dem Tisch liegen eine Tastatur und eine Maus bereit. Auch ein Telefon ist vorhanden. In diesem Büro ist die 65-Jährige regelmäßig im Einsatz. Denn Krämer engagiert sich seit 2002 bei der Telefonseelsorge in Recklinghausen. „Sechs Jahre später haben wir mit der Beratung im Chat begonnen. Alles war neu und frisch“, berichtet sie. Anfangs sei dieses Angebot eine Herausforderung gewesen, auf die sie sich gemeinsam mit weiteren Ehrenamtlichen eingelassen habe. Inzwischen hat Krämer Routine und kann mit ihrer Erfahrung professionell beraten.
„Es ist ein großer Unterschied, ob ich mit jemandem telefoniere oder schreibe“, weiß sie zu berichten. Die Themen seien im Chat ähnlich wie am Telefon: Ängste, Depressionen, Gewalterfahrung, Beziehungsprobleme oder psychische Erkrankungen gehörten dazu. „Doch die Altersstruktur ist eine andere. 60 Prozent der Menschen, die sich über den Chat bei uns melden, sind unter 30 Jahre alt“, erzählt Krämer. Es seien Menschen, die noch mehr als am Telefon die Anonymität suchten. Ihnen falle es schwer, über ihr Anliegen zu sprechen. „Sie können es besser schreiben. Dabei werden häufig Suizidgedanken formuliert. Das Erleben ist krisenhafter“, erklärt Krämer. Die Arbeit am Computer sei intensiver und konzentrierter als am Telefon. Deshalb umfasse eine Schicht nur zwei Stunden.
Krämer hat während ihrer Berufstätigkeit als Psychologin mit jungen Menschen gearbeitet. „Die Erfahrungen helfen mir, ihre Themen gut aufzugreifen“, sagt sie. Die Ratsuchenden seien jedoch die besten Experten für sich selber, aber oft bräuchten sie das Gefühl, in ihrem Leid nicht allein zu sein. „Über die eigene Person zu sprechen und Worte zu finden, fällt ihnen oft schwer. Dabei helfen mir Bilder, die Gefühle zu beschreiben“, berichtet sie. Wie am Telefon gehe es beim Chat ums Zuhören, um Empathie. „Nicht um Ratschläge. Es kann auch vorkommen, dass wir gut im Kontakt sind und ich zum Beispiel Übungen an die Hand gebe oder weiterführende Kontaktadressen übermittle“, informiert die zweifache Mutter, die weiß, dass manche der Hilfesuchenden auf einen Therapieplatz warten und viele sich in Krisenmomenten melden. „Hier weisen wir gerne auf die App ‚Krisenkompass‘ der Telefonseelsorge hin, sozusagen ein Notfallkoffer für die Hosentasche.“
Etwa 40 Schichten übernimmt Krämer jährlich. Dabei halten sich die Einsätze im Chat und am Telefon die Waage. „Beides ist meins. Am Telefon sind es mehr ältere, häufig Mehrfachanrufende, für die wir oft die Einzigen sind, mit denen sie sprechen können. Im Chat sind wir meist mit Menschen in Kontakt, die sich in krisenhaften Lebenssituationen befinden“, verdeutlicht sie.
Auf die Idee, sich bei der Telefonseelsorge zu engagieren, habe sie eine Freundin gebracht. „Und sie hat recht gehabt. Dieses Ehrenamt hat mich sogar bestärkt, mich beruflich zu verändern“, berichtet Krämer. Sie empfinde eine große Zufriedenheit mit dem, was sie mache. „Mein Engagement macht Sinn. Ich baue eine Beziehung zu den Menschen auf. Manchmal bedanke ich mich zum Schluss, denn viele Gespräche – egal ob im Chat oder am Telefon – sind auch für mich sehr bereichernd.“ Das motiviere sie ebenso wie die Gemeinschaft mit den 88 Ehrenamtlichen, die sich bei der Telefonseelsorge in Recklinghausen engagieren. „Es ist ein tolles Miteinander. Wir feiern wunderbare Gottesdienste, die Supervisionsgruppen sind sehr gut, es gibt regelmäßige Fortbildungsangebote und Jahrestagungen“, fasst sie zusammen. Bundesweit böten nicht alle Stellen der Telefonseelsorge die Möglichkeit des Chats an. „Doch das Bestreben ist groß, das Chatten mehr auszubauen. Es gibt großen Bedarf“, weiß sie. Zusätzlich zum Chat bietet die Telefonseelsorge auch Beratung per Mail an.