„Wir stehen wieder am Ende eines Jahres, das von Leid, Elend und schlechten Nachrichten, aber auch von Hoffnungszeichen geprägt ist. Wir stehen am Übergang zu einem Jahr, auf das wir mit Sorge und Spannung blicken“, stellte Genn eingangs fest. Persönlich bereite ihm Sorge, dass „die derzeitige Regierung noch eine rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruches durchsetzen will, die ebenso wenig wie das Transplantationsgesetz mit unserem Menschenbild übereinstimmt.“ Er empfinde es als empörend, „wenn in letzter Minute solch wichtige Fragen unseres Lebens ,durchgeboxt‘ werden“ sollten. „Dabei ist es so dringend notwendig, die Dinge bis auf den Grund zu durchdenken“, gab der Bischof zu bedenken.
Gerade auf das „tiefere Schauen auf die geistigen Hintergründe“ komme es an, erst recht angesichts der Flut an Nachrichten und Meinungen. In dieser erweise sich „manches Vogelgezwitscher als falsche Krähe“, sagte Genn unter Bezug auf den Begriff des „Tweets“ (Deutsch: Gezwitscher). „Hass ist bekanntlich keine Meinung, aber für manche ist Hass zur Haltung geworden“, kritisierte der Bischof, „jedoch ändern wir Dinge nur, wenn wir unter die Oberfläche schauen, nach dem Grund der Dinge fragen, nicht anprangern, sondern Abhilfe schaffen.“ Dies sei Aufgabe von Christinnen und Christen in alltäglichen Begegnungen und Gesprächen.
Genn empfahl der Politik die Stellungnahmen der Deutschen Bischofskonferenz zu Schwangerschaftsabbruch und Transplantationsgesetzgebung, „um zu einem guten und ausgewogenen Urteil zu finden.“ An Christinnen und Christen appellierte er: „Jeder hat die Möglichkeiten, in den sozialen Medien Zeugnis vom Gott des Lebens zu geben.“
In den Sorgen des Alltags dürfe man sich nicht begrenzen lassen. Es gebe viele Möglichkeiten, „den Horizont zu erweitern und auf die geistigen Zusammenhänge zu achten, in denen bestimmte Parolen, sicherlich auch demnächst im Wahlkampf, mehr leeres und hohles Gerede verbreiten als substanzielle Aussagen zu machen.
Das gelte auch für die Kirche, betonte Genn. Ihm sei bei der Weltsynode bewusst geworden, „dass sich im intensiven Hören neue Dimensionen eröffnen, die weiter sind, als es unsere manchmal engen deutschen Befindlichkeiten beinhalten.“ Durch umfassendes Hören auch zunächst fremder Positionen könne sich der eigene Horizont deutlich ausdehnen.
Unter Bezug auf das von Papst Franziskus unter den Titel „Pilger der Hoffnung“ gestellte Heilige Jahr 2025 stellte Genn fest: „Allein aus dem Glauben, dass Gott die Welt in ihrem Kern von der Macht des Bösen entgiftet hat, ist Hoffnung möglich.“ Christliches Zeugnis sage aus, dass Gott „diese Welt in seinen Händen hält und deshalb weder die Putins noch die Trumps noch die Xis noch die Assads noch die Erdogans das letzte Wort behalten.“ Das könne man bezeugen, wenn man nicht an der Oberfläche bleibe, sondern in die Tiefe schaue. So werde Hoffnung geprägt, menschenwürdige Politik möglich und sei Friede aufzubauen. „Liebe wurde, weil Gott Mensch wurde. Liebe wird, wenn wir sie tun“, sagte Bischof Genn abschließend.
Anke Lucht